Claudia Bossard Interview

Claudia Bossard im #jungbleiben Portrait

Eine Regisseurin aus der Schweiz, die auch mal von fallenden Fischen träumt: Claudia Bossard studierte Literatur- und Theaterwissenschaft an der Universität Bern, ehe sie mit ihren Inszenierungen in die Theater der Schweiz, Deutschland und Österreich einzog. Für DIE PHYSIKER am Schauspielhaus Graz war sie für den Nestroy-Theaterpreis 2020 in der Kategorie “Beste Bundesländer-Aufführung” nominiert.

Nun führt sie Regie mit einem Stück Jelineks auf der Bühne des Volkstheaters: IN DEN ALPEN//APRÈS LES ALPES. Wir haben Claudia Bossard zum Gespräch getroffen, um mehr über sie als Regisseurin und zu ihrem aktuellen Stück zu erfahren:

 

Wie würdest du dich in 5 Worten beschreiben?

Grübelnd, neugierig, nervenaufreibend, aber auch humorvoll und ungemütlich.

 

Wie kamst du zum Theater?

Über das Kinder- und Jugendtheater in meiner Heimatstadt.

 

Was fasziniert dich daran?

Das endlose Assoziationspotential auf allen Ebenen. Das ständige Weiterdenken und -treiben von Zeichen, Informationen, Räumen und Literatur.

Claudia Bossard Interview

 

Gibt es weitere Regisseur:innen, die dich besonders inspirieren und warum?

Während des Studiums haben mich insbesondere Herbert Fritsch und Christopher Marthaler inspiriert, wegen ihren jeweils total unterschiedlichen und grandiosen Humorstrategien. Beim Assistieren waren es Claudia Bauer und Dominic Friedel, wegen ihrer Willensstärke und ihren sehr unterschiedlichen Arten Dialoge zu führen. Manchmal zähneknirschende, manchmal wie auf dem Ponyhof, aber dennoch immer im Dienste der Sache oder Kunst.

Heute inspiriert mich der Mut von Florentina Holzinger und die Zustandserforschungen von Marlene Monteira Freitas.

 

Wie kann man sich deinen Alltag als Regisseurin vorstellen und welche Leidenschaft teilst du abseits des Theaters?

Viel Reisen, viel Kommunikation, viel Vorbereitung und Suchen, warten bis sich wieder was tut. Prozesse zulassen, auch wenn man nicht immer weiß, wie sich etwas ausgehen soll oder wie man was aushalten kann, aber die Antwort(en) warten vielleicht dann schon irgendwo, um dann bald auch stattzufinden.

Abseits vom Theater, koche ich auch gerne und manchmal auch surfen. Oder auch einfach nichts.

 

Nach welchen Kriterien suchst du die Werke aus, die du umsetzen möchtest?

Es muss genügend Interesse und Anliegen da sein, das ist wichtig. Warum man glaubt, etwas sei wichtig oder etwas müsse erzählt, dekonstruiert, analysiert oder weiter assoziiert werden.

 

Und natürlich sind dafür die Menschen, der Ort, die Räume enorm wichtig, im besten Falle ist es ein Assoziationsrausch – aber manchmal genügt auch ein Bild, eine Situation, ein Wort oder Satz, dem es dann unbedingt zu folgen gilt.

 

 

Claudia Bossard Interview

 

 

Worum geht es in deiner neusten Inszenierung IN DEN ALPEN//APRÈS LES ALPES?

Um die Ausbeutung von Natur und Menschen. Aber auch um menschliche Schuld. Die beginnt hier in Österreich mit der Gletscherkatastrophe in Kaprun im Jahr 2000, wo 155 Menschen auf grässlichste Art und Weise verbrannt sind und alle 16 Angeklagten freigesprochen wurden.

Elfriede Jelinek baut in ihrem Text IN DEN ALPEN eine düstere Analogie zu den Vernichtungsöfen im zweiten Weltkrieg auf. In APRÈS LES ALPES zieht Fiston Mwanza Mujila die Schuld- und Ausbeutungsfrage von Natur und Mensch weiter auf eine globale Ebene hin zu einer Umdrehung der Kolonialgeschichte . . .

IN DEN ALPEN//APRÈS LES ALPES feiert am 17. Februar im Wiener Volkstheater Premiere und läuft bis zum 25. Mai 2023. Tickets für das besondere Stück gibt es hier

 

Es ist bereits deine zweite Auseinandersetzung mit einem Werk Jelineks. Woher stammt deine Begeisterung für sie?

Ich habe an der Universität Bern deutsche Literaturwissenschaft studiert. Wir hatten dort eine Professorin mit Schwerpunkt Österreichische Literatur und die hat mir damals Elfriede Jelineks Stücke näher gebracht.

 

Mich haben die Texte sofort magisch in Bann gezogen, wie eine Obsession wollte ich verstehen, worum es in diesen Texten geht. Und woher all diese Zitate stammen.

 

Gab es eine besondere Stelle, die dich auf die Idee gebracht hat, das Werk auf die Bühne zu holen?

Die Kombination dieser beiden Autor:innen und das Projekt an sich ist ein Resultat unendlich vieler Gespräche mit der Dramaturgin Jennifer Weiss während des ersten Lockdowns im März 2020 in Graz.

 

 

Claudia Bossard Interview

 

Dem menschlichen Größenwahn wird in diesem Stück eine ganz besondere Rolle zugeteilt. Inwieweit äußert sich dieser?

Menschlicher Größenwahnsinn ist ja der Anstoß, der Antrieb von Allem. Von dem her ist Größenwahnsinn per se die Initialzündung für die Aufrechterhaltung von kapitalistischen Strukturen und steckt natürlich überall mit drin.

 

Die Welt der Bühne ist ja nach wie vor sehr Männer dominierend. Wie nimmst du das als Frau im Theater wahr und erkennt man einen Wandel?

An manchen Orten, in manchen Punkten erkennt man schon eine Dunstwelle von Wandel. An vielen Orten und in vielen Punkten aber noch lange nicht.

Die Infragestellung von Machtstrukturen hat ja gerade erst begonnen und bis selbst die dunkelste Ecke eines institutionellen Betriebes durchdrungen und bereit für Dekonstruktion ist, braucht es Zeit und Widerstand und manchmal auch ziemlich viel Punkmusik.

Claudia Bossard Interview

 

 

Was würdest du dir für die Kunst- und Kulturszene in Zukunft wünschen?

 

Durchhaltevermögen und eisernen Willen. Aber auch mehr Diversität bereits in den Auswahlgremien.

 

Wie bleibst du nachhaltig jung?

Ich glaube, dass das Theater generell jung halten kann oder auch nicht. Jung, weil das generationsübergreifende Arbeiten in beide Richtungen (also mit jüngeren und älteren Kolleg:innen) eine dynamische Angelegenheit ist. Man muss nur aufpassen, dass man sich nicht verliert in irgendwelchen Lichtstimmungen und Proberäumen und dass man nur noch von fallenden Fischen träumt oder so – kann alles passieren, wirklich.

 

Prickelnd, mild oder ohne?

Prickelnd.

 

Mit dem Code GLETSCHER23 bekommt man übrigens -20 % für alle Vorstellungen von IN DEN ALPEN // APRÈS LES ALPES in der aktuellen Spielzeit (22/23): hier gehts zum Online-Kartenverkauf. (Rabatt gilt für Kat. I bis VII. Nicht mit anderen Aktionen kombinierbar.)

 

Foto Porträt © Philipp Schönauer

Fotos Aufführung © Marcel Urlaub

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