
Das beste Anti-Aging Mittel? Keinen Alkohol trinken!
Die Hamburger Autorin Susanne Kaloff beschloss, auszuprobieren, wie ein Leben ohne Alkohol eigentlich schmeckt. Aus ihrem auf ein Jahr angelegtem Selbstversuch wurden ein Buch („Nüchtern betrachtet war’s betrunken nicht so berauschend“) und dreieinhalb Jahre.
Kater sind zum, Pardon, Kotzen
Das letzte Mal, dass ich einen Kater hatte, ist vier Jahre her. Es war nach einer langen Nacht, die mit einem Glas Champagner begann. Wie genau aus einem schlanken Glas ein so fetter Schädel werden konnte, fragte ich mich am nächsten Morgen. Die Frage war eine rhetorische, denn im Grunde ist es schnell erzählt: Es bleibt selten bei einem Glas. Nicht immer so viele, dass Katzenjammer die Folge ist, aber Alkohol ist nun mal kein grüner Smoothie, von dem keine Gefahr der Überdosierung droht, weil sich das Sättigungsgefühl bei einem Brei aus Grünkohl und Banane von alleine reguliert. Anders bei Alkohol, der sich als reiner Genuss ausgibt, jedoch eine behämmerte Nebenwirkung hat: Man möchte mehr davon. Wir verwenden dennoch ungerne das Wort Droge, wenn wir von ihm sprechen, aber nein, das klingt zu hart, aber ja, es macht doch Spaß, und also bitte, ein bisschen Spaß muss sein! Ich hatte Dank seiner Unterstützung viel davon, und eines Tages die Nase voll. Ich wollte rausfinden, was passiert, wenn ich ihn weglasse, mit mir, den anderen, dem Leben. Vor allem aber mit mir. Es bestand keine medizinische Notwendigkeit, weder hatte ich ein Alkoholproblem noch eine Fettleber. Was ich hatte, war dennoch Angst. Was, wenn ich nicht mehr witzig, wortreich, wild sein würde ohne Gin Tonic oder Vino im Blut? Machen die Tage noch Sinn, die Nächte noch Spaß, werde ich erleuchtet oder einsam werden? Das kann dir niemand beantworten, du musst es ausprobieren, die Erfahrung selbst machen. Also fing ich damit von einen auf den anderen Tag einfach an.
Stimmungstief statt Aperitif
Wenn man anfängt, aufzuhören, das zu tun, was alle tun, ist das weder einfach noch sofort super. Man macht sich verdächtig und zum Außenseiter. Es wurden mir selten direkte Fragen gestellt, warum ich nicht mehr trinke, es waren eher beiläufige Bemerkungen, Blicke, dumme Sprüche. Einmal fragte mich ein Mann, ob ich denn sonst noch allen sinnlichen Vergnügungen zugetan sei, und das bloß, weil ich seinen Cremant höflich ausgeschlagen hatte. Ich weiß nicht, welche anderen sinnlichen Tätigkeiten außer Saufen er im Sinn hatte, aber der Moment fühlte sich nicht prickelnd an. Eine Kollegin fragte, ob ich ein Alkoholproblem habe, als ich auf der Weihnachtsfeier die einzige Nüchterne blieb. Seltsam, dass einem ausgerechnet ein Alkoholproblem unterstellt wird, wenn man nicht trinkt. Eine Freundin wurde ungehalten, als wir gemeinsam auf einer Party waren und ich Wasser statt Sekt wollte, sie fragte gereizt: Wie lange willst du das denn noch machen? Auch ich selbst stellte mir anfangs Fragen, beim Blick in den Spiegel zum Beispiel: ist meine Leber eigentlich die einzige, die strahlt?
Es dauert eben bis sich Körper und Geist umstellen.
Von Jugend an wird eine emotionale Bindung zu Alkohol geschaffen, an jeder Ecke, bei jeder Gelegenheit, in allen soziale Schichten wird er einem angeboten. Was soll daran also falsch sein? Mir kam eines Abends die Antwort darauf: Er gaukelt einem vor, dass man ihn braucht. Auch wenn jeder behauptet, man könne ja auch ohne, wenn man denn wolle. Etwas zu brauchen ist Abhängigkeit, und das Gegenteil von Freiheit. Wenn ich die Wahl habe, bin ich lieber frei.
Das Glück kommt im Abgang
Nach ein paar Wochen in Freiheit, geriet ich in einen Rausch. Der Rausch der Askese ist ein anderer als jener, den man von einer halben Flasche Rotwein bekommt. Er wird begleitet von der glasklaren Erkenntnis, nach Mitternacht nie etwas zu erfahren, was man nicht schon hundert Mal gehört hat. Man kann dann seelenruhig nachhause gehen und richtig tief und gut knacken. Nicht bloß, weil die Leber nicht ackern muss, die Drinks abzubauen, sondern auch, weil man weiß: Du verpasst rein gar nichts! Das fühlt sich gut an. Auch gut fühlt sich an, ganz ruhig und gelassen bei sich zu sein, wofür man sonst hundert Jahre Yoga machen oder meditieren muss.
Es ist ein Frieden, eine Zentriertheit, eine Wachheit, die ich durch nichts anderes erfahren habe.
Was es auch mit sich bringt, ist, wir kommen nicht drum rum, mehr alleine sein. Jeden Fall anfangs, wenn sich die Spreu vom Hefeweizen trennt. Bekanntschaften oder Freundschaften, deren primäres Bindeglied das gemeinsame Feiern (aka treffen zum Trinken) war, fallen nach einer Weile ganz von alleine weg. Aufhören zu trinken ist wie ein natürliches Sieb, durch das alles fällt, was man nicht mehr will. Man bekommt ein unheimliches Gespür dafür, was gut und was schädlich ist für einen, von wem man sich besser in Liebe abwendet, was einem nicht mehr dient, welches Verhalten toxisch und was gesund ist. Ein Bullshit-Detektor sozusagen, der Gold wert ist. Nach einem Jahr etwa war ich Profi, ich wurde selbstgewisser, trank Wasser wie Wein, die Sprüche wurden weniger, nicht, weil sich alle an meine Soberness gewöhnt hatten, sondern, weil ich meine Unsicherheit abgelegt hatte. Ich wusste, wer ich bin ohne Alkohol: Dieselbe, nur wesentlich wacher. Ich konnte alles nüchtern machen, von Tanzen bis erstes Date bis Silvester. Und auf einmal waren dreieinhalb Jahre um.
Ich werde oft gefragt, ob ich denn nie trinken würde. Bisher kam die Antwort immer wie aus der Pistole geschossen: Nö! Kürzlich hatte mein Sohn Geburtstag, ich stieß mit ihm an und trank ein halbes Glas Champagner. Es war eine ganz bewusste Entscheidung, sie fühlte sich gut an. Ich überlegte lange, was genau, sich daran gut anfühlte, bis ich draufkam: Kein Label auf der Stirn kleben zu haben. Kein ich bin so oder so, das mache ich nie, das immer, kein Schwarz-Weiß, kein Korsett, kein absolut mehr.
Also im Grunde frei zu sein von einer Ideologie, reinzufühlen, was wann passt, wann ich loslassen und wann klar sein möchte.
Ja, diese Wahl zu haben ist ein verdammtes Privileg, und ich weiß das sehr zu schätzen. Sie ist das Gegenteil von Anhaftung oder Abhängigkeit. Jeder braucht etwas Anderes, ich brauchte dreieinhalb Jahre Promille Pause, um dort, bei mir, in meiner Mitte und ganz persönlichen Balance, wie ich mein Leben leben will, anzukommen. Cheers.
Fotos (c) Hanna Schumi, Brita Sönnichsen, Suse Kaloff.