
Der Flow am Filmset: „Das Endprodukt ist ein Manifest des gemeinsamen Wahnsinns.“
Mit ihrem jüngsten Werk, dem Musikvideo zur Single „Columbo“ von Wanda, macht Regisseurin Jasmin Baumgartner seit einigen Tagen von sich reden. Mit dabei war auch Kamerafrau Anna Hawliczek. Das Duo hat zuletzt auch schon bei den Kurzfilmen „Unmensch“ und „I see Darkness“ zusammengearbeitet. Kennen und lieben gelernt haben sich die beiden bereits zu Studienzeiten an der Filmakademie Wien. Viele gemeinsame Projekte und die eine oder andere Doppelliterflasche vom Heurigen später, funktioniert die Zusammenarbeit bereits fast nonverbal. Wir haben Jasmin und Anna zum Interview getroffen und mit ihnen über ihre Arbeitsweise, die Dringlichkeit von guten Vibes am Set und das Erleben eines gemeinsamen Flows geredet.
Was gefällt euch besonders an eurem Job?
Anna: Geschichten erzählen, Leute einfangen, an viele schöne Orte gelangen oder diese suchen. Kein Alltag, sondern auch ein bisschen Freiheit.
Jasmin: Es ist auch ein Luxus, sich für eine bestimmte Zeit ausschließlich mit einem Thema befassen zu dürfen. Ich kann Jahre mit Themen betiteln: 2014 Fußball, Rassismus und Weiblichkeit, 2015 Generationsdepression, 2016 Familienaufstellungen und, und, und. Das ist total gut für die Orientierung, wenn man nach einer Erinnerung sucht.
Was stresst euch manchmal?
Anna: Es ist natürlich nicht alles nur wildromantisch. Es ist ein heikler Job, man muss schon ein Händchen dafür haben und viel Geduld und Ausdauer mitbringen. Außerdem könnte der Frauenanteil ruhig noch etwas steigen.
Jasmin: Es gibt nie eine Sicherheit, dass irgendwas funktioniert. Es ist voll normal, dass man an einem Tag glaubt, es geht etwas weiter und am nächsten Tag ist Stillstand. Es gibt nur kryptisches langfristiges Planen. Die einzige Sicherheit, die man immer hat, ist die, dass man sich dafür entschieden hat, das zu machen und nichts in Frage zu stellen.
Jasmin, wie bist du darauf gekommen Regisseurin zu werden?
Jasmin: Ich habe als Jugendliche nichts Anderes gemacht als Filme zu schauen, die ganze Nacht. Da wusste ich, dass ich Filme machen will und hab trotzig nie einen anderen Plan verfolgt. Ich glaube, ich erhoffte mir immer, dass nichts wirklich schlimm sein kann in der eigenen Chronik, solange man sich auf andere Geschichten konzentriert.
Wie war das bei dir Anna?
Anna: Ich habe schon recht früh begonnen kleine Filmprojekte zu machen und nachdem mir Leute gesagt haben, dass ich gut darin bin, habe ich mich bei der Filmakademie Wien beworben und wurde tatsächlich genommen. Ich war vielleicht auch geschmeichelt, dass Leute darin ein Talent vermutet haben. Eigentlich wurde mein Ehrgeiz für die Kamera aus einer großen Leidenschaft für Dokumentarfilme mit Globalisierungsthemen und der Idee, damit auf kreativem Weg die Welt zu verbessern, geweckt.
Wie habt ihr euch kennengelernt und seit wann arbeitet ihr zusammen?
Jasmin: Auf der Filmakademie auf einer Produktionsreise durch die Staaten. In NYC hat Anna auf derselben Tanzfläche ihren Trenchcoat verloren, auf der meine Uhr plötzlich auch weg war. Wir fühlten uns sehr verbunden auf dem Nachhauseweg – ihr war kalt und ich wusste nicht wie spät es ist. Dabei haben wir herausgefunden, dass wir beide mit Doppelliterflaschen vom Heurigen, der UCI Vösendorf und Gummibärli im Köö aufgewachsen sind. Folglich haben wir angefangen miteinander zu arbeiten und waren seither nie mehr allein.
Wisst ihr, was ein Flow ist und hattet ihr auch schon mal das Gefühl in einem Flow zu sein?
Anna: Ja, wenn ein Team gemeinsam an ein Projekt glaubt und alles dafür gibt, dass es genauso wird, wie sie es sich vorstellen, dann kann man am Set sehr gut in einen Flow kommen. Die Vorstellungen der Personen im Team weichen anfangs freilich oft voneinander ab, daher sind viele Gespräche, Treffen und eine präzise Planung notwendig. In der Zusammenarbeit mit Jasmin passiert allerdings schon vieles nonverbal, durch ein Grundverständnis für die Wünsche des anderen.
Jasmin: Und wenn diese Basis da ist und ich mich auf das Projekt und das Team voll und ganz verlassen kann, dann kann mich ein Projekt so sehr vereinnahmen, dass plötzlich das eigene Leben und andere Baustellen keine Relevanz mehr haben. Das Endprodukt ist dann ein Manifest des gemeinsamen Wahnsinns. Je verlorener man sich nach der Fertigstellung fühlt, desto besser war wohl der Flow.
Geht das auch auf einem großen Set mit vielen Menschen?
Anna: Absolut. Man arbeitet ja immer wieder mit Leuten zusammen, die man kennt und denen man vertraut. Ein Team wird immer projektbezogen zusammengestellt. Im Idealfall hast du eine gute Mischung von Leuten, die nicht nur für das Projekt perfekt sind, sondern dir auch ein gutes Feeling geben. Eine klar strukturierte Hierarchie ist sehr wichtig, dann kann jeder an einem Strang ziehen. Manchmal gibt’s Meuterei, aber das passiert eher selten – außer wenn das Lichtteam hungrig ist. 😉
Ist dieser Flow dann auch die treibende Kraft um dran zu bleiben?
Jasmin: Bei manchen Projekten reicht es nicht, nur einmal in den Flow zu kommen, vor allem, wenn sie sich über Jahre ziehen. Dann muss man immer wieder einen neuen Zugang finden. Dazu ist es wichtig ein konkretes Ziel zu haben.
Müssen bestimmte Voraussetzungen gegeben sein, damit ihr in eurer Arbeit aufgehen könnt und ein Flow potenziell möglich wird?
Jasmin: Bei Dreharbeiten mit vielen Menschen am Set prallen natürlich oft Charaktere aufeinander. Da muss man aufpassen, dass es keine Befindlichkeitsstudie wird.
Anna: Es beginnt beim Konzept. Die Passion aller muss mit dem Grundkonzept schon geweckt werden, damit das Resultat wirklich gut werden kann. Allein kann man nicht gegen Windmühlen kämpfen. Ich liebe schöne Projekte mit Kreativen, die eine klare Vision haben, die ich dann mit meiner Intuition und meinem Verständnis für Ästhetik vervollständigen kann.
Alle Fotos: Karolin Pernegger