
Kunstsammlerin Dr. Elisabeth Leopold im #jungbleiben Portrait
Wandelt man durch die vielen Straßen und Gassen Wiens, so findet sich an jeder Hausecke doch ein Stück Geschichte und an beinahe jedem Platz ein Kunstwerk. Der Hotspot für internationale wie auch österreichische Kunst ist dabei das MuseumsQuartier, das vor allem drei großen Institutionen ein zu Hause bietet. So auch dem Leopold Museum, das vor kurzem sein 20-jähriges Jubiläum feierte.
Es beherbergt mit über 40 Gemälden und rund 180 Grafiken die weltgrößte Egon Schiele-Sammlung. Der Dank dafür gebührt dem Sammlerpaar Prof. Dr. Rudolf Leopold und seiner Ehefrau Dr. Elisabeth Leopold. Wir trafen die Grande Dame der österreichischen Kunstszene zum Gespräch.
Wenn man über Sie recherchiert, steht da vorrangig: „Augenärztin, Kunstsammlerin, Kuratorin“. Stimmt diese Reihenfolge? Waren Sie zuerst Ärztin und dann Kunstsammlerin? Oder war das Sammeln doch an erster Stelle?
Also ich würde folgende Reihenfolge sagen: zuerst die Liebe, dann das Kunstsammeln, dann das Studium. Mein Mann und ich haben uns 1946 kennengelernt. Kunst zu sammeln haben wir 1948 angefangen. 1950 war der erste Schiele da. Mein Mann war natürlich der „Spiritus Rector“ der ganzen Sache und hat damals gesagt: „Schau dir das an, diesen Künstler! Der hat so großartige Zeichnungen und er malt auch interessant – keine Prinzessinnen und Göttinnen – sondern die Themen unserer Tage.“
Wie wird man Kunstsammlerin? Und warum begannen Sie Kunst zu sammeln?
Mein Mann hatte einen gewissen Hang zur Sammlerei. Er hat vor Kunst, zuerst Schmetterlinge und als zweites Briefmarken gesammelt. Bei den Briefmarken war er so versiert, dass man ihn als Experten im Dorotheum haben wollte. Was er aber nicht getan hat, da wir diese Sammlung dann eigentlich wieder verkauft haben. Da gab es die Briefmarkenbörse und danach hatten wir dann ein wenig Geld. Dann gab es die berühmte Geschichte, als mein Mann ins Kunsthistorische Museum ging. Er war ganz begeistert und sagte: „Ich will mein Leben mit Kunst umgeben. Und die Bilder, die wir zu Hause hängen haben, die hau ich alle weg. Ich will einen eigenen Weg gehen.“
Sie haben Anfang der 1950er-Jahre zu studieren begonnen. Wie war die Stellung von und die Situation für Frauen zu dieser Zeit an der (Wiener) Universität?
Also es gab natürlich insgesamt viel mehr Frauen als Männer, denn der Krieg hatte furchtbar viel Opfer gefordert, gerade unter den jungen Männern. Diese Millionen an jungen Burschen, die im Krieg hingeschlachtet wurden. Selbstverständlich wurde jede Frau, die fleißig studiert und etwas gewusst hat, gefördert. Also wir wurden nicht unterdrückt, da wir vor allem auch in der Mehrzahl waren, aufgrund des Krieges.
Haben Sie ein Lieblingswerk von Egon Schiele?
Also, das Wort „Liebling“ möchte ich vermeiden.
Schiele ist kein Liebling. Schiele ist ein Tiefer, ein Forschender, ein Seher und natürlich auch ein Provokateur.
Denn diese ersten Akte im Jahr 1910, da ist er absolut revolutionär und tabubrechend. Die Stellung der Figuren und ihre grellen Farben haben nichts mehr mit der Ästhetik des Jugendstils zu tun.
Er sagt sinngemäß „Ich bin durch Klimt gegangen aber jetzt bin ich der ganz andere“. (Anmerkung: In einem Brief an den Kunsthistoriker Josef Strzygowski schreibt Schiele im November 1910: „Ich bin durch Klimt gegangen bis März. Heute glaub ich bin ich der ganz andere“.)
Wenn wir nun aber das Wort „Liebling“ streichen, gibt es ein Werk, das sie besonders berührt oder fasziniert?
Ich habe natürlich ein paar Werke, die mich besonders berühren. Danke, das ist die richtige Ausdrucksweise. Das ist vor allem das Werk „Die Eremiten“. Es stellt zwei Künstler dar. Schiele will nicht naturgetreue Porträts malen. Aber anhand der Züge und der Länge des Gesichtes könnte man ein bisschen sagen: das ist Schiele. Und dieses runde, bärtige Gesicht wäre Gustav Klimt. Der Kunsthistoriker Otto Benesch, der beide zu Lebzeiten gekannt hat und später Direktor der Albertina wurde, hat gesagt, dass Schiele dieses Gemälde aus einer gewissen Verbindung zu Klimt geschaffen habe, obwohl er ganz eine andere Kunst machte. Trotzdem vergisst er seinen Mentor nicht und schafft im Jahr 1912 dieses Werk und die Verbindung dieser zwei Männer geht weiter durch das ganze Leben. Sie sterben beide 1918. Also das ist ein Bild, das mich sehr berührt.
Sie haben eine weltweit einzigartige Sammlung in Ihrem Museum zusammengetragen.
Fehlt Ihnen persönlich noch ein Werk oder ein*e Künstler*in?
Die Sammlung hat ein Konzept und es lautet „Egon Schiele“. Es ist die größte Egon Schiele Sammlung der Welt, und als solche wird sie auch gesehen. Egon Schiele ist der Aufstieg bis zum Weltkünstler gelungen. Fragen Sie in Tokio, fragen Sie in New York, in London oder Athen – die Egon Schiele Sammlung ist die besondere Stärke dieses Hauses. Und zu diesem Egon Schiele gehört das Umfeld, “Schiele und seine Zeit”. Die Sammlung ist so wie sie ist, ein großes Ganzes. Sie sollte nicht mit anderen Werken erweitert werden und es sollte auch nichts wegkommen. Insofern glaube ich, fehlt nichts.
Vor kurzem feierte das Leopold Museum 20-jähriges Jubiläum. Gibt es einen Moment, ein Erlebnis oder eine Ausstellung, die Sie besonders im Gedächtnis behalten haben?
Ganz prinzipiell hat man die Schiele-Präsentation in den Jahren immer wieder anders gesehen. Es gab eine Schiele Ausstellung, die ich, gemeinsam mit meinem Sohn Diethard kuratiert und „Melancholie und Provokation“ genannt habe. Also die Provokation, diese harten, radikalen Figuren am Anfang, die Melancholie dann oft in dieser Trauer, die Schiele gezeigt hat.
Diethard hingegen hat eine sehr schöne, neue Sicht auf die Werke von Egon Schiele inszeniert, indem er zeitgenössische Künstler*innen aufforderte, ihr Werk mit dem Schieles in Dialog zu bringen.
Wie Sie wissen, war Schiele auch ein Lyriker – wir haben auch ein eigenes Buch mit seinen Gedichten herausgegeben. Eine Sonderausstellung habe ich extra herausgeschrieben, weil das auch eine gewisse seelische Verbindung hat: “Toulouse-Lautrec”. Auch wegen der Zeit – dieses Paris 1900, nicht? Die Geschichte des Künstlers Toulouse-Lautrec ist ebenfalls sehr berührend, der aufgrund einer Erbkrankheit und mehreren dadurch verursachten Stürzen ewig klein geblieben ist, und so ein ganz großer Künstler war. Natürlich auch Munch, mit dem “Schrei” blieb in Erinnerung.
Aber wir hatten auch eine Impressionisten Ausstellung. Die ist auf folgende Weise zustande gekommen: der Direktor des weltberühmten Musée d‘Orsay wollte eine Ausstellung über Wiener Kunst um 1900 machen. Er wollte Schiele, er wollte Klimt, er wollte Koloman Moser und Kokoschka. Und da hat er uns so eine Liste geschickt, wo wir gesagt haben, das können wir ihm so nicht geben. Und dann bin ich kurz darauf nach Paris gefahren und da sagt mein Mann: „Was? Du fährst nach Paris? Bitte, geh ins d‘Orsay.“ Wir haben ein kleines Büchlein von diesem Haus mit ihren Werken und ich glaube in der Nacht von 11 bis 1 Uhr hat er „gschwind“ aufgeschrieben, was ich verlangen soll. Daraufhin bin ich zum Direktor gegangen und habe gesagt „Monsieur, wenn Sie das alles wollen, dann reißen Sie mir das Herz aus der Brust. Aber wenn Sie es wieder einsetzen wollen, dann möchte ich bitte das und das und das.“
Mein Mann hat dann im Katalog der Ausstellung gesagt “Spiritus Rector dieser Ausstellung ist Elisabeth“.
Es war eine herrliche Impressionisten-Ausstellung mit Manet und Monet, mit Degas und van Gogh, mit Renoir.
Sie haben in Ihrem Leben sicher eine Vielzahl an Künstler*innen kennengelernt. Welche*r hat sie am meisten beeindruckt?
Ich habe eigentlich nicht sehr viele Künstler*innen kennengelernt. Am besten kann ich mich zum Beispiel an Herbert Boeckl, einen großartigen Farbmaler, erinnern.
Über ihn gibt es auch eine herzige Anekdote mit meinem Mann: Herr Boeckl hat immer über Schiele geschimpft – das kommt bei Künstler*innen schon mal so vor. Daher sind er und mein Mann bei einem Gespräch aneinandergeraten. Später hat das meinem Mann sehr leid getan und als er eines Tages auf der Straße ging, sah er Boeckl auf der anderen Straßenseite und rief hinüber: „Herr Professor, wollen Sie mit mir ein Bier trinken? Wir reden nicht über Schiele“. „Ja, ja“ antwortete Boeckl „das könnten wir machen“. Daraufhin haben sie sich blendend unterhalten und verstanden.
Gäbe es Zeitreisen, welche*n Künstler*in aus der Vergangenheit würden Sie persönlich zu einem Gespräch treffen und warum?
Da komme ich auf Goya. Auch Monet war eine ganz interessante Persönlichkeit mit seinem Garten. Ich habe ein Buch, in dem beschrieben wird, welch starken Einfluss die japanische Kunst auf die europäische Moderne hatte. Und, dass Monet in seinem Garten auch eine japanische Brücke hatte.
Also den alten Monet in seinem Garten – den hätte ich ganz gerne gesehen.
Wie bleiben Sie – mit 95 Jahren – jung? Und was raten Sie jüngeren Menschen, um ebenfalls jung zu bleiben?
Naja es ist so, dass ich mir keine Ruhe gönne. Jung gehalten hat mich die ständige Arbeit. Zuerst war es Familie, Kinder und Kunstsammeln und dann war es natürlich auch 30 Jahre als Augenärztin zu arbeiten. Also, mehr kann man nicht haben – ich bin sehr glücklich.
Aber, dass ich das Museum auch im Alter hatte, das glaube ich, hat mitgeholfen die Bürde des Alters zu stemmen.
Man muss sich irgendeinen Dienst suchen, bei dem man anerkannt wird, bei dem man Freund*innen hat und bei dem man sich gut unterhalten kann.
Also zusammengefasst: erstens müssen Sie Vöslauer Wasser trinken, zweitens das Leopold Museum besuchen und drittens müssen Sie sich eine Aufgabe suchen, die Freude macht. *lacht*
Und die letzte Frage: Prickelnd, mild oder ohne?
Es ist so, es hängt oft mit der Außentemperatur zusammen. Ich finde, dass in der Hitze prickelndes Wasser fantastisch ist.
Wir danken Ihnen vielmals für Ihre Zeit und das wundervolle Interview.
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