
In einer Entdeckung sehe ich Schönheit
von Antje Mayer-Salvi
Bela Borsodi ist gebürtiger Wiener und lebt nun seit bald 30 Jahren in New York. Dort arbeitet er als freischaffender Künstler und Fotograf für Labels wie Frédéric Malle, Bulgari, H&M und Magazine wie Numéro Homme, GQ und das SZ-Magazin. Internationale Bekanntheit erlangte er durch seine fotografischen Stillleben. Sie sind hintergründig und humorvoll. Wir erreichen ihn in den USA via Skype in der Quarantäne. Wir baten ihn, eine Fotoserie zu einem selbst gewählten Thema für uns zu gestalten. Er entschied sich für das Element Wasser, Symbol des Lebens und Vitalität.
Das Unentdeckte schön zu finden – darauf bin ich spezialisiert.
Was ist für Dich schön?
Bela Borsodi: „Schönheit“ ist ein komischer Begriff. Über den haben sich bestimmt schon viele Philosophen Gedanken gemacht. Für mich existiert er so nicht. Schön wäre bestenfalls etwas, an dem was nicht stimmt. Schönheit muss erfragen oder aufwerfen, damit ich sie wirklich interessant finden kann. Wenn etwas in seiner Schönheit perfekt ist, hat es für mich jeden Charme verloren. Der Umkehrschluss ist aber keinesfalls, dass Hässliches oder Komisches automatisch schön ist.
Dann frage ich anders: Gibt es etwas, das Du schön finden könntest?
Von Menschen Geschaffenes natürlich! Einen Sonnenuntergang also nicht. William Eggleston, einer meiner Lieblingsfotografen, war unter den Ersten, die mit der Kamera den Blick auf etwas richteten, das gemeinhin nicht als schön oder abbildungswert gesehen wurde. In einer Entdeckung wie der seinen sehe ich Schönheit.
Du liebst den „umgekehrten Blick“ auf die Dinge – das Geheimnis Deiner Stillleben?
Wenn ich etwas betrachte, sehe ich immer das vor mir liegende Ding und gleichzeitig sein Gegenteil. Wenn Du mir etwas zeigst, sehe ich sofort die Abwesenheit des anderen. Es fällt mir sehr schwer, Objekte nur als das zu sehen, was sie sind. Ich setze grundsätzlich alles in den Kontext. Wenn Du mir sagst: „Es ist ein schöner Tag.“ Dann denke ich mir zeitgleich: „Es regnet nicht.“ Diese Herangehensweise ist ganz wichtig für meine Arbeit, besonders bei den kommerziellen Jobs, weil ich als Fotograf täglich mit Produkten konfrontiert werde, die vermeintlich klar definiert sind. Das ist ein Schuh, da kommt der Fuß hinein, man geht damit. Ich versuche, den Schuh mal nicht nur als Schuh, sondern als abstraktes Objekt zu sehen.
Wie wenn man ein Glas umdreht und damit seiner Funktion beraubt?
Genau. Ich möchte herausfinden, was in den Dingen noch drinsteckt. Das Unentdeckte schön zu finden – darauf bin ich spezialisiert. Wenn ich mich an der Schönheit von durch Menschenhand Geschaffenem ergötzen möchte, gehe ich übrigens in die Kunstkammer im Kunsthistorischen Museum in Wien. So viel Schönes auf einem Fleck ist eigentlich unfassbar!
Ich fand es spannend, Wasser zu untersuchen, nicht als Wissenschaftler, sondern als Fotograf.
Wir haben Dich gebeten, in Deiner Quarantäne für uns etwas zu fotografieren. Erzähl uns davon!
Ich habe mit dem gearbeitet, was hier im Atelier vorhanden war – mit Wasser. Ich habe für das Projekt nichts kaufen oder besorgen müssen, ging ja auch gar nicht. Ich fand es spannend, Wasser zu untersuchen, nicht als Wissenschaftler, sondern als Fotograf. Wasser kann perlen, spritzen, tropfen, rinnen, ich wollte das festhalten. Wasser auf einem Objekt wie einer Vase oder einem Stein zu fotografieren, das ist einfach und hat man schon tausendfach gesehen, aber Wasser an sich abzubilden, als pures Element, ist, ehrlich gesagt, eine ziemliche Herausforderung. Dem galt mein Ehrgeiz!
Das Foto ist nur die Dokumentation des Abenteuers davor.
Ist der Prozess mindestens genauso wichtig wie das Ergebnis?
Das Ergebnis ist sogar am unwichtigsten. Das Foto ist nur die Dokumentation des Abenteuers davor, das Resultat eines Gedankens.
Gibt es etwas, das Du in Deinem Leben unbedingt noch realisieren möchtest?
Ich möchte mich noch einmal verlieben. Außerdem liegt in New York eine große Mappe – die eine Hälfte ist voller Projekte, die schon auf der Welt sind. Die andere Hälfte mit Ideen und Skizzen wartet noch darauf, von mir geboren zu werden.
Bist Du ein Workaholic oder eher faul?
Ich arbeite 24 Stunden am Tag, weil ich ständig die Welt rezipiere. Das heißt, ich bin sehr faul, arbeite aber viel, während ich faul bin.
Eine Situation, in der Du das Leben genießt?
Wenn ich verliebt bin! Wenn ich schimpfen kann, bin ich auch sehr glücklich, aber das ist sozusagen eine Pflichtübung für einen gebürtigen Wiener wie mich (lacht).
Danke für das Interview!
Bela Borsodi wurde 1966 in Wien geboren, lebt und arbeitet in New York. Nach dem Studium des Grafikdesigns und der Bildenden Kunst begann er, als Fotograf zu arbeiten. 1992 zog Bela nach New York und konzentriert sich seit 1999 auf die Stillleben-Fotografie. Seit 2013 produziert er als Regisseur auch Kurzfilme.
Das Interview führte Antje Mayer-Salvi vom c/o Magazin.