
Jungbleiben Interview mit Martina Glomb
Für Designerin Martina Glomb ist Nachhaltigkeit der Punk von heute. Wer seine Kleidung zum Beispiel nach einmal Tragen nicht direkt in die Waschtrommel verbannt, ist rebellisch und wird schräg angeschaut. Das will die Bremerin ändern.
Glomb bezeichnet sich selbst als Modeschöpferin und setzt sich für mehr Nachhaltigkeit in der Fashionindustrie ein. Zwölf Jahre lang war sie Chefdesignerin bei Vivienne Westwood. Dabei erlebte sie den Aufstieg der Stil-Ikone hautnah mit. Heute ist ihr Lebensfokus ein anderer. Seit 2005 unterrichtet sie Modedesign an der Hochschule Hannover. Ihre Studierenden ermutigt sie dazu, Kleidungsstücke untereinander zu tauschen, und sie kooperiert auch mal mit der niedersächsischen Polizei, um deren Dienstkleidung nachhaltig und innovativer zu gestalten.
Ihr Bestreben, die Fashionindustrie zu verändern, ist groß. Wir sollen weniger nutzen und noch weniger kaufen. Stattdessen die Herkunft unserer Kleidungsstücke hinterfragen und mit bereits bestehender Mode experimentieren.
Wie kam Ihr Interesse an Slow Fashion und nachhaltiger Mode?
Obwohl es die Begriffe erst seit kurzem gibt, interessiere ich mich seit ich denken kann dafür. Ich habe meine Kindheit auf dem Schneidertisch meines Vaters verbracht und meiner Oma beim Wolle aufwickeln geholfen, um neue Pullover aus den alten zu stricken.
Kleidung ist für mich ein wertvoller Schatz, der so lange wie möglich gehütet werden muss.
Durch die Schneiderlehre im Couture-Atelier, das Modestudium und die vielen Jahre im Studio von Vivienne Westwood hat sich diese Haltung bestärkt.
Einer Ihrer Ansätze ist es, mit Kleidung kreativer umzugehen. Welche Tipps haben Sie, um wieder Spaß an alter Kleidung finden?
Alte Kleidung gibt es für mich nicht. Kleidung ist entweder „ungenutzt“ oder „nicht mehr genutzt“. Ich kann sie vielseitig und kreativ wieder attraktiv und tragbar machen. Ich kann sie reparieren und neu zusammensetzen – zum Beispiel die Ärmel eines Pullovers an den Body einer Bomberjacke nähen. Ich kann hier nur ermutigen, einmal die unmöglichsten und gewagtesten Styling-Kombinationen auszuprobieren. Sie sehen meistens überraschend gut aus! Außerdem ist es wichtig, über sich selbst und sein Aussehen lachen zu können und zu wissen, worin ich mich wohlfühle.
Mode muss Spaß machen.
Auf keinen Fall folge ich sklavisch vermeintlichen Trends, die mir aufdiktiert werden.
Über welchen Trend würden Sie gerne einen Vortrag auf einer Slow-Fashion-Veranstaltung halten?
Lieber als ein Vortrag wäre mir eine Diskussion mit Beteiligten aus verschiedenen Richtungen. Konsumenten, Designerinnen, Händlern, Schülerinnen etc. Am liebsten würde ich darüber sprechen, was wir verändern können. Und wie wir den unsäglichen Trend entkommen können, alles als „nachhaltig“ zu bezeichnen, was noch nicht einmal im Ansatz das Wort verdient.
Sowohl ihr Vater als auch Ihr Großvater waren Schneider. Was haben Sie von den beiden gelernt?
Die Liebe zu textilen Materialien, den Geruch von feuchter Wolle und den Griff von Leder, Samt und Seide. Außerdem habe ich die Vorliebe für exzentrische Kleidung und die Unterwanderung gesellschaftlicher Dresscodes geerbt.
Welches Kindheitserlebnis hat Sie besonders geprägt?
Mein Vater hat mir mein erstes Zelt für die Übernachtung im Garten genäht und ich durfte helfen. Passend dazu haben wir dann ein Stirnband aus echten Hühnerfedern genäht und mit Glasperlen bestickt.
Welche Aktivisten würden Sie als Ihre Vorbilder bezeichnen?
Vivienne Westwood. Sie ist immer provokant, kritisch, positiv und sieht dabei toll aus.
Sie lehren Modedesign an der Hochschule Hannover. Welche progressive Idee Ihrer Studierenden hat Sie zuletzt richtig begeistert?
Die Studierenden sind ein wahrer Pool an innovativen und kreativen Ideen.
Mit den Jahren habe ich gelernt, aus jeder studentischen Arbeit die progressive Essenz heraus zu kristallisieren. Begeistern tun mich dann die unterschiedlichsten Dinge. Zum Beispiel Mode aus gefundenen Altkleidern oder alten Zelten, die digitale Konstruktion und Anprobe von Mode, das Färben mit Naturfarben, eine ressourcenschonende Kollektionserstellung, Zero Waste, Social Design oder die Auseinandersetzung mit textiler Tradition und Handwerk…
Welche neuen Aufgaben warten auf junge Modeschaffende?
Analoge und digitale Verknüpfungen zur Verbesserung von Produktion und Konsumtion von Mode in Hinblick auf mehr Nachhaltigkeit sind eine Herausforderung. Gemeinsam mit Konsumierenden Fast Fashion überwinden und Wertschätzung für textile Produkte stärken.
Wie kleiden wir uns in der Zukunft?
Schrill, persönlich, humorvoll und exzentrisch.
Eine wilde Mischung aus Second Hand und neuer Mode, die kreislauffähig und gut ist für Umwelt und Mensch.
Welche Relevanz hat der Faktor Jugend in ihrer Arbeit?
Jugend ist fantastisch. Man muss Jugend fühlen und erleben. Wenn man den Faktor Jugend diskutiert, ist man leider nicht mehr im Spiel.
Fühlen Sie sich jung? In welchen Momenten besonders?
Wenn ich begeisterte Studierende erlebe, fühle ich mich jung, aber auch, wenn mein Mann oder mein Hund mich ansehen.
Was bedeutet die Bezeichnung Punk für Sie? Sehen Sie sich als Punk?
Ohne Punk hätte ich nie den Mut gefunden, meinen Weg zu gehen. Punk sei Dank.
Punk ist eine Lebenseinstellung, die bei mir immer mal wieder aufblitzt.
Ihr persönlicher Lieblingsstoff?
Seide, Latex, Samt, Denim.
Wen würden Sie gerne einmal einkleiden?
Viele, die mir auf der Straße begegnen – besonders in trendigen Einkaufsvierteln.
Welches Viertel in Hannover steht für Sie für Weitblick?
Im und ums Ihme-Zentrum herum. Da tut sich was.
Welche kreativen Köpfe in Hannover bewegen Sie zurzeit?
Die Leute hinter der Designagentur Bureau Bordeaux, der metavier Galerie, der Galerie Brutal, dem Taschenlabel pb0110, der Galerie Bohai und viele andere Kreative, die sich lokal verankern und zu Hannover stehen.
In welchem Secondhand-Laden in Hannover kaufen Sie gerne ein?
Im Elfie & Ignaz in der Oberstraße 8.
Welches Restaurant in Hannover kombiniert für Sie besonderes Design mit gutem Essen?
Das Restaurant 11A – Küche mit Garten. Nach der Arbeit gehe ich aber immer zu Jimmy ins Kindai bei mir um die Ecke in der Marienstraße.
Aus dem Bauch
Recycling oder Upcycling?
Upcycling
Schneiderkreide oder 3-D-Drucker?
Schneiderkreide
Laufsteg oder Garten?
Garten
London oder Hannover?
Hannover
…alles zu seiner Zeit.
Prof. I. R. Dr. Winfried Humpert, Konstanz
Ein echter Lichtblick! Auch mit 74 Jahren war es für mich eine große Bereicherung das Interview mit Martina Glomb im Deutschlandfunk zu hören und mit ihr sozusagen vor Jahrzehnten auf dem Schneider Tisch zu sitzen. Vor über einem halben Jahrhundert war Nachhaltigkeit finanzielle Notwendigkeit für die allermeisten. Meine Kinder Kleidung wurde immer mehrere Nummern zu groß gekauft, damit man da nicht so schnell heraus wuchs. Und repariert wurde alles. Und der Lumpensammler holte die alten Kleider zur Wiederverwertung an der Haustüre ab. Prof. Glomb recht. Kleider sind ein wertvoller Schatz, der so lange wie möglich gehütet werden muss. Und ein paar der Studierenden von Martina Glomb Sind die Professorinnen und Professoren für Mode Design in ein paar Jahrzehnten: und ihnen wird Mode Spaß machen und Slow Fashion wird dann hoffentlich Standard sein. Und ich werde mich – bevor die Läden mit der neuen Trend-Frühlingsmode voll sind – meinem Kleiderschrank widmen und schauen was ich da kreativ wieder nutzen kann und (möglichst) in 2022 keine Kleider kaufen Und wenn doch dann von einem Öko Label. Danke für die Impulse, geschätzte Martina Glomp.