
#jungbleiben verbindet: Rudolf Niedersüß vom Mode-Atelier Knize über die Kunst des Herrenschneiders
Rudolf Niedersüß ist Geschäftsführer im geschichtsträchtigen Haus Knize. „Ein echter Knize muss als solcher zu erkennen sein“ ist das Credo des Herrenschneiders. Zu seinen Kunden zählen nicht nur diverse Adelshäuser aus ganz Europa, auch Berühmtheiten wie Adolf Loss, Marlene Dietrich oder Billy Wilder finden sich in der Kundenkarteikarte. Was die Besonderheit seines Berufs ausmacht und worauf er als Herrenschneider achten muss, erzählt er uns im Interview.
Welche Arbeitsschritte beinhaltet das Schneidern eines Herrenanzugs?
Zuerst wird vom Kunden Maß genommen, danach wird im Detail besprochen, wie der Anzug aussehen soll. Im nächsten Schritt wird der Stoff zugeschnitten und die erste Probe genommen. Das ist eine sehr schöne Aufgabe, weil jeder Kunde eine andere Figur hat und wir die Anzüge komplett individuell anpassen. Bei der ersten Probe wird auch genau abgezeichnet wie der Anzug aussehen soll. Nach dem Zuschnitt und der ersten Probe werden sogenannte Einlagen unter den Stoff gelegt, die dann der Körperform des Kunden angepasst und aufeinander genäht werden. Dies hat zur Folge, dass sich der Stoff, der am Körper wie eine zweite Haut anliegen sollte, nicht verdreht. Dann werden die Taschen und die Vorderkante des Anzugs gemacht, und die Schnitte für die zweite Probe zusammengenäht. Von vielen unserer Stammkunden haben wir bereits die vorgefertigten Schnitte, somit fallen die Zwischenproben oft komplett weg. Wir ändern unseren Stil selbstverständlich von Zeit zu Zeit um uns der Mode anzupassen, aber diese Änderungen fallen meist eher moderat aus.
Wie würden sie den Knize-Stil beschreiben?
Der Knize-Stil zeichnet sich durch seine Besonderheiten im Gegensatz zu anderen europäischen Stilen aus. Wir richten uns weder nach dem englischen, noch dem französischen, oder italienischen Stil. Wir legen viel Wert darauf, dass der Anzug eine natürliche Schulter und möglichst wenig Polsterung aufweist. Dadurch wirkt die Schulter abfallend und verbreiternd, und ergibt so einen schönen Verlauf bis hin zum Ärmelende. Die Italiener haben beispielsweise keine Verbreiterung der Schulter durch den Ärmel und sind auch mehr gepolstert. Uns ist wichtig, dass die Anzüge unserem Stil entsprechen, auch weil wir Schneider unseren eigenen Stil haben. Öfter haben wir Kunden, die sehr spezifische Vorstellungen haben, aber da haben wir eine sehr einfache Einstellung: Ein Knize-Anzug muss es werden, sonst machen wir ihn nicht.
Wenn sie den Zeitgeist aufnehmen, passiert das also sehr dosiert?
Richtig. Das schätzen unsere Kunden aber auch an Knize. Von den Extremen, die die Mode zeitweise vorgibt, sind wir bestimmt weit weg. Wir versuchen uns zwar immer den allgemeinen und vor allem zeitlosen Trends anzupassen, aber das können nie radikale Änderungen sein. Als Schneider merken wir Trends relativ früh und versuchen diese gegebenenfalls auch gleich in Gang zu setzen.
Gibt es für Sie eine Periode in der Mode, die Sie bis heute inspiriert?
Die Sechzigerjahre, meine Lehrjahre, waren bestimmt sehr prägend für mich. Damals waren die Hosen eher schlank und die Sakkos nicht übertrieben lang. Wir haben noch ein altes Modejournal aus Frankreich, das vor allem Hochzeitsanzüge zeigt. Einreihige Anzüge, einfache Schnitte in dunkelgrau, ähnlich dem Stresemann, der natürlich nach dem ehemaligen deutschen Außenminister benannt wurde und deshalb von Engländern, Italienern und Franzosen nicht getragen wird (lacht). In Österreich hingegen wird der Stresemann noch immer oft zur Hochzeit getragen. Wichtig dabei ist, dass die Taille hoch ist und die Beine lang wirken. Das gilt auch für den Frack, was heute fast niemand mehr weiß.
Können Sie uns mehr erzählen über das Verhältnis zwischen Maßschneiderei und Prêt-à-porter bei Knize?
Etwa drei Viertel unseres Umsatzes ergeben sich aus den Konfektionen, die wir verkaufen. Das übrige Viertel kommt aus der Maßschneiderei, was natürlich einige Schwierigkeiten mit sich bringt. Anpassen und Probieren ist bei uns nicht immer einfach, da diese Vorgänge natürlich sehr viel Zeit und Ressourcen in Anspruch nehmen. Sowohl unsere Kunden als auch wir legen sehr großen Wert darauf, dass unsere Anzüge perfekt sind. Ein weiteres Problem ist, dass es nicht mehr genug junge Leute gibt, die den Beruf des Schneiders erlernen möchten. Die alteingesessenen, lang gedienten Schneider gehen nach und nach in Pension. Mit einem unserer besten Schneider habe ich ganze 46 Jahre lang zusammengearbeitet, bis zu seiner Pension. Es ist unheimlich schwierig, Nachwuchs zu bekommen, da viele junge Menschen lieber studieren und nicht mehr den natürlichen Weg zur Schneiderei finden.
Welche Voraussetzungen sollte man mitbringen für das Handwerk des Schneiders?
Man braucht eine Menge Geduld für das Handwerk an sich, aber noch viel mehr als Zuschneider. Bei neuen Kunden muss man vor allem geduldig sein, weil man bestimmte Gegebenheiten nicht sofort weiß. Man muss einerseits schnell aber auch sehr genau arbeiten können. Eine schwierige Balance.
Inwiefern spielt das Entwerfen von Anzügen noch eine Rolle bei Ihrer Arbeit?
Wenn ein Kunde ein bestimmtes Kleidungsstück in einem bestimmten Stil haben möchte, etwa Trachten oder Jagdanzüge, dann kommt es durchaus vor, dass wir gleich mit Kreide am Stoff arbeiten. Auf Papier bringen wir das selten davor, das gilt auch für Konfektionsanzüge. Es wird tendenziell eher vom Stück aus nachgezeichnet als vorher entworfen.
Gibt es ein Kleidungsstück, das Sie besonders gerne anfertigen?
Am liebsten mache ich etwa Fracks oder Cut-Anzüge, was auch am schwierigsten anzufertigen ist. Ich habe auch selbst einen Cut, der mir sehr gut passt (lacht). Ich habe ihn zu meiner Hochzeit getragen, und bin ich wirklich sehr stolz auf diesen wunderbaren Anzug.
Fotos: Karolin Pernegger