Lisa Wessely Suchtprävention

Genuss oder Sucht: Lisa Wessely über das Konsumverhalten von jungen, erfolgreichen Frauen

Mehr, schneller, besser. Um mit dem stetig steigenden Druck unserer Leistungsgesellschaft umzugehen, greifen viele Leute zu äußeren Mitteln, um der inneren Unruhe entgegenzuwirken. Besonders bei jungen, erfolgreichen Frauen hat sich das Suchtpotential zu einem speziellen Problem entwickelt. Wir haben Lisa Wessely – Leiterin des dialog-Standorts für Suchtprävention und Früherkennung – ein paar spannende Fragen zu diesem Thema gestellt.

 

Wie würdest du dich in 5 Worten beschreiben?

Ich denke ich bin loyal, motivierend, optimistisch, humorvoll und engagiert. Wenn mir etwas am Herzen liegt, bin ich sehr dahinter.

 

Wie sieht dein Werdegang aus und wie hast du deinen Weg in die Suchtprävention gefunden?

Ich habe Psychologie studiert, und dann im Dialog: lange in einer Beratungsstelle mit Suchtkranken gearbeitet und später bin ich dann in die Prävention gewechselt. So kann ich meine langjährigen Erfahrungen aus der Klient:innenarbeit für die Prävention nutzen.

Aktuell leite ich auch den Standort für Suchtprävention und Früherkennung.

 

Dein inhaltlicher Schwerpunkt liegt in der betrieblichen Suchtprävention. Warum genau hier?

In der betrieblichen Suchtprävention liegen viele Chancen für die Unternehmen, aber auch für uns. Wir haben hier die Möglichkeit Personen mit einem problematischen Konsum oder einer Suchterkrankung frühzeitig zu erreichen. Betroffene wenden sich oft erst dann an eine Hilfseinrichtung, wenn ihr Problem am Arbeitsplatz auffällt und angesprochen wird und Hilfestellungen angeboten werden. So entsteht „sanfter Druck“ zur Veränderung.

Laut Studien gibt es tendenzielle Geschlechter-Unterschiede beim Suchtverhalten. Männer greifen statistisch gesehen eher zum Alkohol, Frauen öfter zu Medikamenten. Allerdings gibt es einen gegenteiligen Trend, der beweist: Sucht kann jede:n betreffen, auch Personen, denen man das nicht ansieht.

 

Auch viele junge, erfolgreiche und gebildete Frauen sind davon betroffen.

 

Junge, erfolgreiche Frauen bringen oft Beruf, Familienleben, Haushalt und sogar Hobbies unter einen Hut. Der Druck wird jedoch für viele so stark, dass sie sich zum Runterkommen dem Alkohol zuwenden – aus diesem Grund haben sie sich den Männern im Trinkverhalten angeglichen.

 

Was zeichnet den Dialog als Suchthilfeeinrichtung aus?

Der Dialog ist eine ambulante Suchthilfeeinrichtung. Wir haben einen akzeptanzorientierten Ansatz, das bedeutet Abstinenz muss nicht das vorrangige Ziel sein. Ich denke der Dialog geht sehr wertschätzend mit den Klient:innen um, aber auch mit den Mitarbeiter:innen, was natürlich auch fein für die Kolleg:innen hier ist. Besonders ist außerdem, dass wir in allen Bereichen multiprofessionell arbeiten. Also Mediziner:innen, Psycholog:innen und Sozialarbeiter:innen, das ist in der Zusammenarbeit gut und die Klient:innen bekommen alles, was sie brauchen unter einem Dach.

 

Lisa Wessely Suchtprävention

 

Mit welchen Maßnahmen können Betriebe bessere Aufklärung und einen Safe Space für ihre Mitarbeiter:innen schaffen?

Betriebe haben eigentlich viele Möglichkeiten – gerade im Bereich der Sensibilisierung. Hier geht es darum, dass Thema sichtbar zu machen, Sucht am Arbeitsplatz kann es in jedem Betrieb geben und wenn hier frühzeitig Maßnahmen gesetzt werden, kann hier auch viel bewirkt werden. Wichtig ist es vor allem die Führungskräfte mit ins Boot zu holen, sie zu schulen mit dem Ziel Sucht oder problematischen Konsum zu erkennen, ansprechen zu können und dann die richtigen Interventionen zu setzen.

Auch für die Mitarbeiter:innen kann unterschiedliches im Rahmen der Gesundheitsförderung angeboten werden, zum Beispiel mit Workshops oder auch Gesundheitstagen. Aber auch die Betriebskultur und Feierkultur sollte man sich anschauen, denn auch diese können suchtfördernd oder suchtverhindernd sein.

 

Männer und Frauen gehen laut Studien oft sehr unterschiedlich mit Süchten um. Männer greifen statistisch gesehen eher zum Alkohol, Frauen öfter zu Medikamenten. Wie lässt sich dieses unterschiedliche Verhalten erklären?

Sucht passiert meist im Versteckten und macht vor keiner Gesellschaftsschicht halt.

 

Sucht kann jede:n betreffen, auch Personen, denen man das nicht ansieht.

 

Die Zielgruppe junge Frauen, die beruflich erfolgreich sind und das Familienleben und den Haushalt checken, die vielleicht auch Hobbies haben, die fordernd sind, bei denen sehen wir häufig das Alkohol zum Runterkommen verwendet wird. Aber wir sehen auch, dass sich Frauen den Männern im Trinkverhalten angeglichen haben.

 

Wie kann gegen das wachsende Suchtpotenzial bei jungen, erfolgreichen Frauen vorgegangen werden?

Wichtig wären Maßnahmen, die auf unterschiedlichen Ebenen ansetzen. Einerseits braucht es strukturelle Veränderungen: Wie zum Beispiel eine gerechtere Aufteilung der Carearbeit, ein besseres System für die Kinderbetreuung, mehr Chancengleichheit im Beruf. Darüber hinaus muss daran gearbeitet werden die hohe gesellschaftliche Akzeptanz von (auch problematischem) Alkoholkonsum zu verändern.

 

Andererseits müssen Mädchen und junge Frauen dabei unterstützt werden selbstsicher zu sein und mit Selbstzweifeln und Stress kompetent umgehen zu können.

 

Auch eine gezielte Aufklärung über das schnellerer Entstehen von körperlicher Folgeschäden wie auch Abhängigkeitserkrankungen ist notwendig.

 

Sucht ist bei Betroffenen oft schwer zu erkennen. Deswegen passieren wichtige Gespräche, meist erst wenn es schon zu spät ist. Auf welche Anzeichen sollte man bei sich selbst oder bei anderen achten? Du sagst, dass Alkohol und andere Substanzen bei jungen Frauen oft zum Runterkommen dienen. Welche Alternativen gibt es?

Folgende Anzeichen für einen problematischen Alkoholkonsum kann man bei sich selbst wahrnehmen, spätestens dann sollte man den eigenen Alkoholkonsum verändern. Wenn man schon einmal versucht hat den Konsum zu reduzieren oder zu stoppen oder es nur schwer oder nicht geschafft hat, wenn man bereits von anderen auf ein auffälliges Trinkverhalten angesprochen wurde, wenn es einen fast täglichen Konsum gibt. Auch wenn man bemerkt, bereits untertags an ein alkoholisches Getränk zu denken oder Probleme hat den Alkoholkonsum zu kontrollieren, können dies Hinweise sein.

Spätestens wenn man Schwierigkeiten (gesundheitliche, soziale, berufliche) auf Grund von Alkoholkonsum bekommt, ist eine Konsumveränderung notwendig.

Alternativen zum Runterkommen können individuell unterschiedlich und vielfältig sein. Geeignete Möglichkeiten zur Entspannung sind wichtig, ob Sport oder Meditation oder die berühmte me-time, die Frauen nur allzu selten haben, können helfen, aber auch das Treffen mit Freundi:nnen.

 

Wichtig ist es über ein Repertoire an Entspannungsmöglichkeiten zu verfügen, um auf diese zurückgreifen zu können.

 

Pharmakologisches Neuroenhancement ist ein weiterer Schwerpunkt deiner Arbeit. Könntest du uns den Begriff etwas genauer erklären? Welche Auswirkungen hat es auf die Personen?

Beim pharmakologischen Neuroenhancement geht es um Substanzkonsum mit dem Ziel sich selbst zu optimieren und sich selbst vermeintlich leistungsstärker zu machen. Das Spektrum geht von pflanzlichen rezeptfreien Produkten über Medikamente bis zu illegalen aufputschenden Substanzen.

 

Da wir in einer Leistungsgesellschaft leben sehen wir, dass diese Art des Konsums zu nimmt.

 

Es gibt viel gesellschaftlichen Druck leistungsstark zu sein und auch in der Freizeit zu performen. Auch die Hemmschwelle Substanzen aller Art zur Selbstoptimierung einzusetzen ist gesunken.

 

Lisa Wessely Suchtprävention

 

Wie sieht es bei jungen Frauen mit Neuroenhancement aus? Inwiefern wird es bei dieser Gruppe verwendet?

Bezüglich Neuroenhancement liegen mir keine Zahlen bezüglich geschlechterspezifischer Unterschiede vor. In diesem Zusammenhang werden aufputschende Substanzen, wie zB. Ritalin von Schüler:innen und Student;innen vor allem dazu verwendet um stressige Phasen der Prüfungsvorbereitungen vermeintlich besser zu schaffen.

 

Wo siehst du das meiste Aufholpotential in/von Österreich in der Suchtprävention?

Suchtprävention muss früh ansetzen, mit den Lebenskompetenzförderungsprogrammen gelingt das ganz gut, auch die Jugendlichen erreichen wir in unterschiedlichen Settings gut. Mehr Augenmerk würde ich mir auf der Suchtprävention für Erwachsene wünschen. Eigentlich ist Sucht ja doch mehr ein Problem von Erwachsenen als von Jugendlichen.

 

Ganz wichtig sind Entstigmatisierung und Enttabuisierung – gerade von Alkohol.

 

Alkoholkonsum ist in unserer Gesellschaft sehr akzeptiert, geradezu erwünscht, es wird zum Mittrinken motiviert. Wenn dann ein Problem entsteht, dann wird es der Person alleine als individuelles Problem zugeschrieben. Da hat Österreich wirklich noch viel Aufholbedarf.

 

Was bedeutet #jungbleiben für dich?

Neugierig bleiben, sich für andere Lebenswelten interessieren, ich arbeite ja auch mit Jugendlichen und da muss man vermutlich automatisch ein bisschen jung bleiben. Das bezieht sich nicht aufs Outfit, sondern daran anschlussfähig zu bleiben, was Jugendliche beschäftigt, welche Themen und Sorgen sie haben und welche Gedanken sie sich zu unserer Welt machen.

 

Ohne, mild oder prickelnd?

Pures Wasser auf jeden Fall ohne, Saft auf jeden Fall prickelnd.

 

Was hat Genuss mit Suchtprävention zu tun?

Genuss ist sehr wichtig, aber richtiges Geniessen kommt gar nicht so oft vor in unserem Alltag. Daher ist es wichtig, dass schon Kinder lernen Genuss bewusst zu gestalten, weil wir wissen, dass das einen suchtprotektiven Faktor darstellt.

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