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Orsola de Castro: Die grüne Mode-Pionierin im Interview

Noch bevor es in aller Munde war, waren es weltweit verstreute Aktivist:innen, welche die Mode und ihre Konsument:innen zum Umdenken aufforderten. Vor über 10 Jahren begann es dann durch Blogs und die beginnende Social Media Verbreitung immer mehr in das Bewusstsein zu kommen, dass die Modeindustrie weltweit einen großen Impact auf die Natur und Menschen in Herkunftsländern hat. Eine, die von Anfang an gleich mit dabei war und die Initiative Fashion Revolution mitbegründete, ist Aktivistin und Modedesignerin Orsola de Castro.

2006 co-gründete sie die Initiative Estethica des British Fashion Council auf der London Fashion Week und widmet sich in letzter Zeit wieder dieser Funktion. Dazu ist sie eine gefragte Sprecherin, auf internationalen Panels und Symposien eingeladen –  gerade erst war sie bei der Mercedes-Benz Fashion Week in Berlin am Podium – und hält mit ihrer Meinung nicht hinter dem Berg: “Wir wurden mit Kleidung gemästet wie die Gänse”, ist nur eine ihrer Aussagen bei denen man aufhorcht. Aber genau solche Sinnbilder braucht es auch, um die Dringlichkeit einer Systemänderung auf den Punkt zu bringen.

Im Mai veröffentlichte sie ihr Buch “Loved Clothes Last: How the Joy of Rewearing and Repairing Your Clothes Can Be a Revolutionary Act” (Penguin Verlag), das ein mutiger Aufruf dazu ist seine Garderobe wieder neu zu entdecken und kreativ zu werden.

 

Nachhaltigkeit in der Mode ist ein Schlagwort, das derzeit inflationär verwendet wird. Was ist Ihre Definition von nachhaltiger Kleidung?

Orsola de Castro: “Ja, ich stimme zu, dass es auf verschiedene Weise verwendet wird, ebenso wie das Wort Zirkularität, unabhängig von seiner Bedeutung. Es gibt zu solchen Modewörtern immer ein bisschen eine Tendenz, nicht wahr? Aber ich habe keine Definition des Wortes Nachhaltigkeit, ich orientiere mich an der Bedeutung im Wörterbuch und verwende es entsprechend.”

Orsola de Castro

Im Mai 2022 kam Orsola de Castros neues Buch heraus, das sich wie eine Liebeserklärung an den eigenen Kleiderschrank liest.

Sollte es in der Mode Leitlinien dafür geben, was nachhaltig ist und was nicht?

Orsola de Castro: “Nicht in Bezug darauf, was nachhaltig ist und was nicht, sondern in Bezug auf die Lieferkette. Es sollte verpflichtend transparent sein, welche Materialien in den Fasern der Kleidung eingesetzt werden. Dazu sollte es verbindliche, existenzsichernde Löhne für die Bekleidungsarbeiter:innen geben. Es sollte auch einen Herkunftsnachweis für die Materialien geben. Das Problem mit den Zertifizierungen ist, dass sie oft von den Marken zur Verfügung gestellt werden. Das sollte man natürlich immer mit einen Schuss Skepsis betrachten. Aber um es kurz zu machen: Nein, ich glaube nicht, dass es Zertifizierungen geben sollte, sondern allgemeine Vorschriften an die sich auch alle halten müssen.”

Info: Eine zirkuläre Modeindustrie ist definiert als ein regeneratives System. In ihr sind Kleidungsstücke so lange im Umlauf solange ihr maximaler Wert erhalten bleibt. Dann werden die Kleidungsstücke sicher in die Biosphäre zurückgeführt. Allerdings erst, wenn sie nicht mehr von Nutzen sind. Dafür dürfen sie auch absolut nicht umweltschädlich sein. Ein weiteres Schlagwort hierfür ist das “Cradle to Cradle” Prinzip auf dem das zirkuläre Modell basiert.

Wo sehen Sie eine Veränderung in der Modeindustrie in den letzten Jahren?

Orsola de Castro: “Die gesamte Modeindustrie hat sich in den letzten Jahren zum Besseren aber auch zum Schlechteren verändert. Ein Problem ist, dass das Greenwashing massiv zugenommen hat. Es ist ein regelrechtes Marketingspiel geworden. Aber es gibt auch viele jüngere Marken für die Nachhaltigkeit eine Priorität ist. Ich denke, wir sehen langsam, dass in der EU Gesetze umgesetzt werden oder kurz vor der Umsetzung stehen. Die meisten davon sind zwar noch nicht streng genug, aber zumindest fangen wir auf legislativer Ebene an darüber zu sprechen.”

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Wie können wir Kleidungsstücke “erneuern”? Wie schafft man einen zirkulären Kreislauf, der die Umwelt schont? Diese Fragen stellt sich Orsola de Castra seit Jahren und arbeitet als Co-Gründerin von Esthetica mit dem British Fashion Council zusammen.

Sehr oft wird den Verbraucher:innen vorgeworfen, dass sie nicht genug Verantwortung übernehmen, um die Modeindustrie zu verändern. Halten Sie das für ein stichhaltiges Argument?

Orsola de Castro: “Ich glaube nicht, dass es in der Verantwortung der Verbraucher:innen liegt, irgendetwas zu unternehmen. Die große Mehrheit dieser sind keine wohlhabenden Leute, die es sich leisten können, nachhaltig zu kaufen. Es sind Menschen, die kämpfen, überhaupt über die Runden zu kommen. Daher ist es allein die Pflicht der Modemarken, erschwingliche und nachhaltige Kleidung anzubieten und deren Reparatur zu erleichtern. Es liegt nicht an den Menschen, sondern an den Modemarken.”

 

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Welche Art von Dienstleistung bietet Fahion Open Studio an und was ist Ihre Vision und Philosophie?

Orsola de Castro: “Fashion Open Studio ist eine Initiative von Fashion Revolution. Heute bin ich noch als kreative Beraterin und Mitbegründerin tätig. In der Zwischenzeit bin ich wieder bei Esthetica tätig, weil es genau das ist, was ich vor Fashion Revolution gemacht habe. Es geht um die Unterstützung und Förderung junger, aufstrebender Marken auf der ganzen Welt, die nachhaltig bleiben, aber trotzdem wachsen möchten. Darauf verwende ich im Moment meine ganze Energie.”

“Es liegt nicht an den Menschen, sondern an den Modemarken.” – Orsola de Castro

Welchen Schritt sollte die Modeindustrie als nächstes auf ihrem Weg zu einem Kreislaufmodell gehen?

Orsola de Castro: “Nun, meiner Meinung nach erfordert der Weg zur Kreislaufwirtschaft Langlebigkeit und eine Garantie seitens der Marke. Ich persönlich setze auf Upcycling und auf die Wiederverwendung bereits vorhandener Ressourcen. Ich denke, das ist machbar und skalierbar und das einzige Gegenmittel gegen die Wegwerfgesellschaft. Wir müssen Kleidung aufbewahren und Stoffe, die bereits verwendet werden, auf kreative, industrialisierte Weise wiederverwenden.”

 

Foto von Orsola de Castro: Tamzin Haughton

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