
Studio Visit: Michael Ornauer
Um die Arbeitsweise von Michael Ornauer zu verstehen, hält man sich am besten an Leonard Cohen. Der sang: „There is a crack in everything. That’s how the light gets in.“ Ähnlich agiert auch der 1979 geborene Künstler Michael Ornauer immer an den Bruchstellen. In ihnen erkennt er die Schönheit der Malerei. Er mahnt zum Verrücktsein und Regelbruch, ein Atelierbesuch in Niederösterreich.
PARNASS: Magst du von deinem letzten Werk erzählen?
Heute habe ich ein Bild gemacht, aber nun frage ich mich, ob es wirklich fertig ist. Es hat schöne Momente, gelungene Farbkontraste, aber irgendetwas stimmt noch nicht. Im Großen und Ganzen bin ich unzufrieden mit dem Tagwerk.
PARNASS: Wie meinst du das – „unzufrieden“?
Meine Arbeitsweise kommt sehr stark aus der Unzufriedenheit heraus, ich muss so lange arbeiten, bis ich zufrieden bin, das heißt aber auch, dass ich die längste Zeit unzufrieden bin.
Ich ändere ein Bild so lange bis es keine Stellen mehr hat die mich unzufrieden stimmen. Es ist keine angenehme Herangehensweise, aber ich kenn nur diese.
PARNASS: Das bedeutet aber auch, dass du wiederkehrende Momente der Zufriedenheit hast, immer dann, wenn du eine Malerei als fertig betrachtest.
Ja, das ist eine Art Sucht. Ich kann in der Malerei, in der Kunst kurze Momente des Glücklichseins erfahren. Das ist ein Glück, das in meiner Hand liegt. Egal ob man die christliche Lehre oder den Buddhismus ansieht, eine wesentliche Lektion ist dort und da, dass alles vergänglich ist. Also kann man nur daran arbeiten wiederkehrende Glücksmomente herzustellen. Es geht um eine Suche nach Vollkommenheit und ein Bild ist eben dann für mich fertig, wenn ich nichts mehr daran machen kann, weil es vollkommen ist. Es gibt kaum etwas das vollkommen ist – keine Beziehung, kein Job, keine Lebenssituation – aber als Künstler kann ich vollkommene Momente schaffen, und deshalb kann ich nicht aufhören. Es ist eine Sisyphus-Tätigkeit.
PARNASS: Wie hast du entdeckt, dass die Kunst der richtige Weg für dich ist?
Die Kunst braucht mich nicht, aber ich brauche die Kunst. Sie ist eine Art Religion, man verspricht sich eine Art von Lösung von ihr, das war bei mir nicht anders als ich 2003 mit der Kunst begonnen habe. Dabei bin ich aus einem völlig Kunstfernen Milieu, habe als Kind kein Kunstmuseum von innen gesehen und war in einer technischen Schule. Bis zu meinem 19. Lebensjahr bin ich komplett ohne Kunst ausgekommen. Als ich die Matura hatte, bin ich das erste Mal ins Kunsthistorische Museum gegangen und bin dort fast umgeknickt. Ich habe gemerkt, da ist irgendwas, das ist mir sehr nahe und ich bin ein Maler, obwohl ich bis dahin keine Kunst gemacht habe.
Die Kunst war meine Rettung in einer schmerzvollen Suche.
Ich wäre viel lieber ein entspannter, gelassener Künstler, der aus Freude heraus etwas erschafft, aber das bin ich nicht, Schmerz und Leid sind wichtige Kräfte für meine Arbeit.
PARNASS: Dennoch sind deine Arbeiten voller positiver, bejahender Lebenskraft?
Van Goghs letzte Bilder schauen auch nicht so aus, als ob er sich bald erschießen würde, seine letzten Bilder sind die farbfrohsten, stärksten Werke. So linear und einfach ist das alles nicht. Nur wer das tiefe Leid kennt, kennt auch das Glück. Wenn man bereit ist dahin zu gehen, wenn ich bereit bin in meine Tiefen einzutauchen und auch die Dinge anzuschauen, die vielleicht nicht so angenehm sind, bekomm ich auch auf der anderen Seite große Gefühle. Wir leben in einer Zeit, in der die negativen Gefühle möglichst abgeschnitten werden, doch ohne Spüren kommt man in der Kunst nicht weit.
PARNASS: Du arbeitest relativ abgeschieden in einer alten Villa am Rande des Wienerwalds.
Diese Villa hier ist in einem ganz herkömmlichen Sinn wunderschön, aber es ist auch die Natur rundherum und die Stille. Ich würde hier dennoch nicht hängenbleiben wollen. An Wien genieße ich die Enge, den Lärm, die Menschen. Leben bedeutet auf allen Seiten im selben Ausmaß auszuschöpfen, dieser Rückzug hier ist nur schön, weil ich ihn auch wieder durchbreche. Ich brauche die Gegensätze, die das Leben voll machen.
PARNASS: Vor Jahren hast du gegenständlich, figurativ gearbeitet, inzwischen lösen sich deine Malereien immer mehr auf und spielen mit Farbigkeit und Oberfläche.
Meine künstlerische Praxis schaut so aus – ich mach‘ möglichst alles falsch. Ich mache Unsinn. Wir versuchen unser ganzes Leben rational und effizient zu gestalten, das hat in der Kunst keinen Platz.
Die Kunst ist für mich die Praxis, mit der ich alles umkehren kann, was ich davor gelernt habe.
Der Künstler ist für mich ein Narr, er macht alles verkehrt und bringt die Leute vielleicht zum Lachen, aber in Wahrheit lachen sie über sich selbst. Und die Kunst ist eine Art Katalysator für psychologische Prozesse in den Menschen. Sammler, die mit meinen Werken leben, erklären mir oft Jahre später was sie plötzlich über sich durch eines meiner Werke verstanden haben, nach und nach wirkt die Kunst auf sie und dreht ihre Weltbilder um. Ich freunde mich mehr und mehr an, mit diesem Narren, der ich eigentlich bin und den ich früher immer verstecken wollte, weil er mir peinlich war. Es ist närrisch den ganzen Tag Farben zusammenzuführen. Es ist vernünftiger etwas anderes zu tun, aber das müssen wir Künstler den Leuten vorhalten – seid verrückter.
PARNASS: Aber auch die Kunstwelt kennt Regeln.
Die muss man ignorieren. Je mehr ich mein Ding mache, umso mehr gelingt es. Ich scheiterte heute hier im Atelier, weil ich zu konventionell war. Umso mehr ich loslasse, umso eher gelingt eine gute Arbeit, die dann auch gezeigt oder verkauft wird. Je mehr ich dem Zufall Raum gebe umso eher passiert Kunst. Die Brüchigkeit der Bilder und auch der Menschen ist essenziell.
Wir Menschen sind so unglaublich dicht, da ist nirgendwo ein Spalt.
Im steten Bemühen um Selbstoptimierung geht es stets darum aufkommende Spalten zu kitten, aber das ist der falsche Weg. Man muss die Spalten suchen.
PARNASS: War es also rückwirkend unsinnig Kunst an einer Akademie zu studieren? Wo du doch eigentlich die völlige Absichtslosigkeit suchst?
Nein, denn, um ausbrechen zu können, muss man zuerst eingesperrt werden.
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Autorin:
Paula Watzl
Fotocredits:
Atelieransichten und Ausstellungsansichten in der Galerie Suppan Fine Arts © by the artist