
Studio Visit: Miriam Ferstl
Eine intensive Beschäftigung mit der Welt um wie auch in uns liegt den feinsinnigen Arbeiten von Miriam Ferstl zugrunde. Verborgene Zusammenhänge, Vorgänge und Muster visualisiert die 1986 geborene Künstlerin in fotografischen, skulpturalen oder installativen Werken.
Gerade baut sie ihr neues Atelier in direkter Nähe zum Wald in der Oberpfalz im nordöstlichen Bayern. Wir haben mit ihr über Inspirationsquellen zwischen Stadt und Natur, das Besondere an den beiden Medien Fotografie und Glas sowie ihren Antrieb als Künstlerin gesprochen.
Titel und Text zu deiner aktuellen Ausstellung Illusionsmaschine sprechen deine Überzeugung an, dass „die Welt, wie wir sie empfinden, in großen Teilen eine Illusion ist.“ Ist es dein Antrieb, diese Illusion fortzusetzen oder aufzubrechen?
Vor allem, sich der Illusion bewusst zu werden. Das ist mein Antrieb. Das Verstehen wollen von dem, was im Inneren eigentlich ist, im Vergleich zu dem, wie die äußere Welt auf einen einwirkt – sich freizumachen von den Schichten und Prägungen, auf der Suche nach dem, was wirklich zu einem gehört.
Denkst du, ist das der Grund, warum du schlussendlich bei der Fotografie als dein künstlerisches Medium gelandet bist? Fotografie, die ja eigentlich die Realität abbildet?
Ich glaube, in der Frage liegt schon ein Grund, warum die Fotografie mich so interessiert – man denkt ja, dass man dabei Realität abbildet, aber was ist das, die Realität?
Deshalb ist auch die Leuchter-Arbeit (Lichtzellen, seit 2016, Anm.) so wichtig für mich: sie zeigt, dass es entscheidend ist, wie du die Dinge anschaust. Sie ist Sinnbild für das Illusorische. Man erkennt die Leuchter erstmal nicht als solche, aber ich habe nichts an der Realität verändert, sondern nur die Perspektive. Das ist es, was mich an der Fotografie generell interessiert:
Die Welt zu zeigen, wie man sie normalerweise nicht sieht, um zu verstehen, wie eng unser Blick auf die Welt eigentlich ist.
Waren die Leuchter auch in deiner persönlichen Laufbahn eine Art Erleuchtung? Mit den Leuchtern begann deine Arbeit als Künstlerin.
Ich weiß nicht, ob ich Erleuchtung sagen würde, aber die Leuchter haben auf jeden Fall mein ganzes Leben verändert. Vorher war ich beim Film, ich habe etwas ganz anderes gemacht und war dabei nicht wirklich erfüllt. Ich habe zuerst Germanistik, Theaterwissenschaft und Medienwissenschaft studiert, war ein paar Jahre am Theater in Bochum, wo ich am Anfang auch Schauspiel gemacht habe. Dass ich Künstlerin werden und schöpferisch arbeiten will, wusste ich irgendwie immer. Aber ich wusste nicht genau, in welchem Bereich. (lacht) Durch die Kronleuchter habe ich diese Perspektive für mich entdeckt, die Fotos gemacht und dann gemerkt: Das ist es.
Was ist für dich das Schönste an der Fotografie?
Dass ich das, was ich an der Welt so besonders finde, zeigen kann. Und manchmal auch erst entdecke. Mit der Kamera ist mehr Offenheit gegeben. Wenn ich fotografisch denke, sehe ich mehr von der Welt.
Im Gegensatz zur Fotografie ist ein immer wiederkehrendes Material bei dir aber auch Glas. Was birgt dieses Material für dich an Reizvollem, welche Bedeutung hat es für dich?
Es ist die Reflexion, die Transluzenz, diese besondere Beschaffenheit. Dass es ein Material gibt, das aus Sand, aus Quarz – aus dem Erdboden, wenn man so will – entsteht und durch Erhitzen zu Glas wird, finde ich faszinierend, das ist für mich Alchemie.
Und es hat auch mit der unsichtbaren Welt zu tun, die mich sehr interessiert – die Mächte, die im Verborgenen wirken, nicht nur spirituell, auch naturwissenschaftlich: 2018/19 habe ich mich viel mit Mikroorganismen beschäftigt. Für diese kleine Welt wollte ich dann Glas verwenden, denn auch dieses Material ist im Grunde nicht wirklich sichtbar, aber trotzdem da.
Besonders die Glasobjekte erinnern auch oft an organische Formen, beispielsweise die Gedankensamen. Der Bezug zur Natur kehrt in deinen Arbeiten immer wieder.
Früher hätte ich da sofort gesagt: Ja, meine Inspiration kommt größtenteils aus der Natur. Ich bin ja umgeben von Wald aufgewachsen, das ist mir wahrscheinlich eingeschrieben. Aber in der letzten Zeit sind es auch vermehrt psychologische Vorgänge.
Die außermenschliche, aber auch die innermenschliche Natur inspiriert mich – das, was uns antreibt und ausmacht.
Und zu sehen, dass wir Teil eines Ganzen sind: Nervenzellen sehen zum Beispiel ähnlich aus wie Bäume… hinter allem steckt irgendwie das gleiche Prinzip.
Vor kurzem bist du von München zurück aufs Land gezogen, wo du dir gerade in unmittelbarer Nähe zur Natur direkt am Waldrand dein Atelier baust.
Zum Arbeiten brauche ich tatsächlich die Natur, denn dort habe ich die Ruhe, mich auf das einzulassen, was in mir passiert. Nach längerer Zeit auf dem Land habe ich jetzt aber festgestellt, dass ich auch die Stadt brauche. Weil ich mich wiederfinde in der Vielfalt, die da los ist. Sie hilft mir dabei, dafür offen zu bleiben, die Dinge aus unterschiedlichen Perspektiven zu sehen.
Woran arbeitest du gerade?
Tatsächlich bin ich gerade noch mit den Friendly Demons beschäftigt. In der Serie geht es um die inneren Dämonen, die einem das Leben manchmal schwer machen, also Ängste, Sorgen oder Zweifel, die einen dabei blockieren, entspannt und in Frieden zu leben.
Das sind oft Gedankenmuster und Glaubenssätze, die man nicht selbst kreiert hat, sondern die Generationen zurückreichen. Aus diesen Rahmen muss man sich erst befreien.
Und eine Frage, mit der ich mich eigentlich immer wieder viel befasse: Wofür bin ich hier? In welche Richtung soll es weitergehen?
Was bedeutet nachhaltig #jungbleiben für dich?
Nicht aufhören, neugierig zu sein. Und mit offenen Augen durch die Welt zu gehen. Ich glaube, offen zu bleiben hält einen wirklich jung, denn ohne neue Erfahrungen lernt man nichts mehr über sich.
Aktuelle Ausstellung
Miriam Ferstl – Illusionsmaschine
bis 17. Dezember 2022
Kunst- und Kulturverein Aschersleben
Am Grauen Hof 1-2
06449 Aschersleben, Deutschland
www.miriamferstl.com
www.grauerhof.de/illusionsmaschine/
Text: Judith Koller
Fotos © Miriam Ferstl