
Studio Visit: Soli Kiani
„Die Jugend in beiden Kulturen ist genauso unterschiedlich wie die Kulturen selbst“, erklärt die im Iran geborene und in Wien lebende gefragte Künstlerin Soli Kiani.
Aktuell sind ihre Arbeiten in der Neuen Galerie in Graz im Rahmen der Ausstellung „Ladies and Gentlemen“ zu sehen. 2022 wird sie im Bank Austria Kunstforum in Wien, auf der Foto Wien sowie in Salzburg in der Galerie Sophia Vonier ausstellen. Wir trafen sie mitten in den Vorbereitungen für eine sehenswerte neue Seil-Installation im Hotelgarten des Kai 36.
PARNASS: Wenn man auf deiner Website deine Biografie aufruft, steht da „the artist has no biography“ – wie meinst du das?
Ich möchte, dass die Menschen einfach nur meine Kunst bewerten und sich nicht davon beeinflussen lassen wer ich bin, woher ich komme, wo ich studiert habe, welche Preise ich vielleicht gewonnen habe und wo ich ausgestellt habe.
PARNASS: Seit 2000 bist du in Österreich und hast hier Kunst studiert. Hättest du im Iran Künstlerin werden können?
Ja, ich hätte auch im Iran Künstlerin werden können, aber es ist für mich noch immer nicht möglich dort meine Kunst ohne Zensur auszustellen, da ich mich kritisch mit den nicht vorhandenen Menschenrechten, vor allem mit Frauenrechten, auseinandersetze. Die iranischen Gesetze schreiben etwa vor, dass Frauen zu emotional sind um Richter*innen zu werden, dass sie nur die Hälfte von dem erben dürfen, was ihre Brüder erben, und dass ihre Aussagen vor Gericht halb so viel Wert sind wie jene eines Mannes.
PARNASS: Wiederholt zeigst du in deinen Werken diese Lebensrealität der iranischen Frau. Wundert es dich, wie wenig Aufmerksamkeit die westliche Welt auf die immanenten Ungerechtigkeiten wirft?
Die fehlende Aufmerksamkeit wundert mich nicht nur, sie macht mich auch wütend. Ich habe oft das Gefühl, dass der Westen die Situation im Iran als gegeben akzeptiert, wohl auch da wirtschaftliche Interessen im Vordergrund stehen.
Darüber, dass seit 42 Jahren Menschen wegen anderer sexueller Orientierung ausgepeitscht oder hingerichtet werden, wird hier kaum diskutiert, trotz einer doch breiten LGBTQIA+ Community.
PARNASS: Deine Kunst ist sehr politisch. Immer wieder machst du auch auf Zensur aufmerksam. So zeigst du etwa Bildfälschungen in Geschichtsbüchern, die Sexuelles ausblenden. Siehst du es als deine Aufgabe aufzuklären?
Ich zeige Bilder aus diesen Büchern, um sichtbar zu machen, dass die Zäsur nicht nur Menschen und Kunst im Iran betrifft, sondern auch Menschen und Kunst der westlichen Welt! Ich sehe es als meine Aufgabe diesen Themen Sichtbarkeit zu geben, um sie so zum Diskurs zu stellen.
Ich hoffe damit den Menschen Mut zu machen für ihre Rechte zu kämpfen. Denn ich selbst hatte als Teenager keine Role-Models.
Wir wurden von der Regierung schikaniert und von den Eltern aus Angst vor Konsequenzen isoliert und streng kontrolliert, zumindest die meisten von uns.
PARNASS: Die Bandbreite deiner künstlerischen Praxis umfasst Malerei, Zeichnung, Skulptur und Installation. Seile sind dabei ein von dir häufig verwendetes Material.
Mit diesen Seil-Installationen mache ich auf die barbarischen Gesetze im iranisch-islamischen Strafgesetzbuch aufmerksam, welche Verstöße gegen Menschenrechte beinhalten nach denen „Recht“ gesprochen wird. Nach diesen Gesetzen sind Männer mit 15 Jahren und Frauen mit 13 Jahren strafmündig, also noch im Kindesalter! Bei Diebstahl werden Körperteile abgehackt und Menschen wegen Alkoholkonsum und ihre andere sexuelle Orientierung ausgepeitscht und bei dreimaliger Wiederholung hingerichtet. Diese Seile werden im Iran dazu verwendet, um öffentliche Hinrichtungen durchzuführen.
PARNASS: Ein weiteres wesentliches Element sind Stoffe.
Oft ist ein Textil der Ausgangspunkt meiner künstlerischen Produktion, wobei ich vor allem die metaphorische Bedeutung von „Tschador“ betone. Der „Tschador“ bedeutet auf Farsi wortwörtlich Zelt, bezeichnet jedoch gewöhnlicher Weise das meist dunkle Tuch, das von muslimischen Frauen im Iran als langer, den Kopf und teilweise das Gesicht und den Körper bedeckender Schleier getragen wird. Die Themen Kleidung, Stoffe und Mode haben eine ziemlich dominante Rolle in meinem Leben gespielt.
Stoff war nicht nur Kleidung, sondern gleichzeitig Schutzmantel, aber auch Gefängnis meiner Identität.
PARNASS: Auch die Farben sind bewusst gewählt. So steht das weiß ein Stück weit für Befreiung.
Weiß ist für mich die Farbe des Widerstands und ich beziehe mich auf die Protestaktion „White Wednesdays“, wo Frauen zum Protest gegen Kleidungsvorschriften ihre weißen Kopftücher abnehmen und damit ein hohes Risiko eingehen verhaftet und ausgepeitscht zu werden.
PARNASS: Vor einigen Jahren hast du auf der PARALLEL VIENNA deine eigene Teenagerzeit thematisiert mit einer Installation voll jener Dinge, die im Westen selbstverständlich sind, die du aber nur heimlich verwenden konntest – wie Kosmetikprodukte.
Die Jugend in beiden Kulturen ist genauso unterschiedlich wie die Kulturen selbst. Während im Westen die Jugendlichen mit jedem Schritt Richtung erwachsen werden immer mehr an Freiheiten gewinnen und genießen, sind Teenager im Iran, vor allem weibliche mehr und mehr Einschränkungen und Verboten ausgesetzt.
Viele Dinge, die für den Menschen im Westen selbstverständlich sind, sind für Jugendliche und Menschen in allgemeinen im Iran nach Gesetz verboten, wie z.B. Sport im Freien, Ausgehen, Tanzen und Alkoholkonsum.
PARNASS: Fühlst du dich inzwischen als Künstlerin und als Frau frei?
Das ist eine gute Frage! Bis zu gewissen Grad ja, und dann auch wieder nicht. Für mich ist es Luxus, wenn ich zu jeder Tageszeit im freien Laufen gehen kann, ohne nachdenken zu müssen, ob ich das als Frau überhaupt machen darf, oder ob ich vielleicht eine kurze Hose anziehen darf oder nicht.
Auf der anderen Seite habe ich hin und wieder das Gefühl, dass man auch in Europa und selbst in der Kunstszene (die angeblich sehr liberal und offen ist) nach wie vor als Frau und Künstlerin nach Äußerlichkeiten beurteilt wird und nicht primär nach der Qualität und den Inhalt der Arbeit.
Im Iran ist meine Arbeit zum Teil verboten und wäre strafbar.
Es ist daher auch ein persönliches Risiko damit verbunden, eventuell meine Familie nicht mehr besuchen zu können.
Fotocredits:
Porträts Soli Kiani, Fotos: © Eva Kelety, Courtesy Soli Kiani
Studio Ansichten, Fotos: © Eva Kelety, Courtesy Soli Kiani
Ausstellungsansichten, Strabag Kunstforum, 2019, Fotos: © Rudi Froese, Courtesy Soli Kiani
Ausstellungsansichten, Sotheby’s, 2020, Fotos: © Philipp Schuster, Courtesy Soli Kiani