Anne-Clara Stahl
Fotos © Lisa Edi

Studio Visit: Anne-Clara Stahl

Die Mutterschaft hat Anne-Clara Stahl dazu veranlasst, Zeit neu zu bewerten. Bewusst nimmt sie sich gerade eine Pause von der Kunst. Dass sie auch Künstlerin bleibt, wenn sie nicht jeden Tag im Atelier arbeitet, ist für sie unverhandelbar.

PARNASS: Aktuell befindest du dich in einer Phase des Umbruchs – vieles ordnet sich neu. Was sind die Eckpfeiler dieser Phase?

Anne-Clara Stahl: Ich empfinde diese Zeit als ein aktives Innehalten und Reflektieren. Die Pause ist ein Raum, eine Schwelle, ein Übergangsraum. Die Schwelle führt in etwas Neues, noch Unbekanntes. Ich denke, es gibt immer wieder Phasen, in denen ich Dinge verarbeite. „Pause“ bedeutet für mich keine Leere, sondern Potenzial. Unendliche Möglichkeit. Alles ist offen.

 

Anne-Clara Stahl

Fotos © Lisa Edi

 

Lass uns gleich über das Thema Mutterschaft in diesem Kontext sprechen. Du teilst deine Reise als Künstlerin, die auch Care-Arbeit leistet, seit einiger Zeit recht offen via Instagram. Viele Künstlerinnen machen Mutterschaft auch in ihrer Kunst sichtbar – oder blenden sie bewusst aus. Wo stehst du?

Ich sehe mich nicht an einem der Pole. Der Raum für das Thema ist bei mir größer geworden – auch in meiner Akzeptanz für Künstlerinnen, die Mutterschaft bearbeiten. Ich kann das aber nicht verallgemeinern. Schön finde ich, wenn Frauen darüber sprechen und die Größe dieses Themas anerkennen, auch jenseits der Kunst. Da ist vieles noch unberührt. Die Frage ist ja, worüber wollen wir sprechen, was möchten wir mitteilen. Gerade online entstehen sehr verzerrte Bilder der Realität von Mutterschaft. Wie wir unseren Kindern begegnen, sagt so viel über unsere Gesellschaft aus. Ich habe eine sehr große Achtung vor allen Müttern. Es ist die wohl stärkste Aufgabe mit einer fundamentalen Einflussnahme in das Leben.

Was hat Mutterschaft konkret an deinem Arbeitsalltag verändert?

Zeit ist rar. Früher konnte ich im Atelier endlos arbeiten. Plötzlich waren es anderthalb oder zwei Stunden – oder gar nichts. In solchen Fenstern „muss“ man kreativ sein. Das hat bei mir Druck erzeugt, dazu kam finanzieller Druck und die Frage, wie wir Sorgearbeit verteilen. Die Zeit, die früher nur mir gehörte, ist heute geteilt – mit dem Kind, mit dem Partner, mit vielem, was Nähe verlangt. Die eingeschränkte Autonomie empfinde ich als belastend, zugleich aber auch als ein Feld des Lernens: Kontrolle abzugeben, ohne sich selbst aufzugeben.

Ich habe mich lange gewehrt, diese Zwischenzeit zu akzeptieren, aber ich bin hineingewachsen. Bis heute bin ich abends oft nicht mehr verfügbar, gedanklich woanders. Allgemein hat sich meine Einstellung zum Arbeiten verändert. Mutterschaft hat mich näher zu mir selbst gebracht und tut dies noch immer. Diesen Prozess finde ich sehr spannend, und ich lebe ihn mittlerweile mit Stolz. Ich glaube, vielen ist nicht bewusst, in welchem Ausmaß sich das Leben einer Frau nach der Geburt eines Kindes verändert. Nicht jeder Frau ist es im gleichen Maß möglich, ihre Autonomie zu wahren – das ist sehr komplex.

 

Anne-Clara Stahl

Fotos © Lisa Edi (Portraits), Anne-Clara Stahl (Werke)

 

Was macht diese Situation innerlich mit dir?

Man wird sofort mit der eigenen Kindheit konfrontiert. Welche Muster trage ich weiter? Ich versuche, die Offenheit, die ich aus der Kunst kenne, ins Elternsein zu übertragen – Räume aufzumachen, statt reflexhaft zu handeln. Im Moment erlebe ich Mutterschaft als Chance: das Leben durch andere Augen zu sehen und dabei neu zu begreifen. Manche Bereiche habe ich vielleicht auch nur durch die neue Situation kennengelernt. Ich würde wohl immer wieder Mutter werden, auch wenn gerade diese Entscheidung mein Leben am tiefsten verändert hat. Sie hat mir Freiheiten genommen, Abhängigkeiten geschaffen – von Strukturen, Erwartungen, manchmal auch von Menschen. Ein weiteres Kind kann ich mir nicht vorstellen. Der Kampf um Zeit ist zu groß, zu allgegenwärtig.

Ich finde es wichtig, meine Situation zu teilen. Ich selbst bin oft so beeinflusst von Erfolgsstorys berufstätiger Mütter, die von ihrem Weg erzählen. Es ist aber nicht immer alles so glatt, wie es ausschaut. Und es gibt auch Erfolge, die nicht sehr glamourös sind, dafür aber menschlich, verbindlich, sanft. Sanft mit sich selbst zu sein, ist allgemein sehr empfehlenswert.

Du sprichst nun von einer „Schaffenspause“. Wie schaut die praktisch aus?

In meinem Atelier gab es Schimmel; ich habe gepackt, viel ausgesiebt – auch Recherchematerial. Es tat gut, mich von Materie zu trennen und die Verantwortung für Besitz ein bisschen kleiner zu machen. Wer viel besitzt, trägt auch mehr. Das Gefühl, beweglicher zu sein, flexibler mit der Arbeitsmethode zu werden, reizt mich. Äußere Veränderungen bewirken oft sehr viel. Sie geben Chancen, umzudenken und sich neu zu orientieren. Neue Orte zu finden. Zu Hause habe ich nun einen kleinen Tisch organisiert. Mein Schreibtisch. Er lädt mich ein, mehr zu schreiben. Ich genieße die Schreibmomente.

Mein Atelier werde ich wohl zwischenvermieten. Gleichzeitig arbeite ich jetzt im Studienbüro einer Akademie. Das gibt mir finanzielle Sicherheit und hält mich in der Nähe zur Kunst.

Die finanziellen Sorgen von Künstlerinnen sind kaum sichtbar. Der Traum, allein von der Kunst zu leben, hat für mich an Glanz verloren – nicht, weil die Kunst weniger wert wäre, sondern weil das System sie selten trägt. Über Geld spricht man in der Kunstwelt ungern. Man betont lieber die Leidenschaft, das Ideal, die Berufung – dabei ist auch Kunst ein Wirtschaftssystem, ob man will oder nicht.

Hast du dir für den Job einen Zeitrahmen gesetzt?

Nein. Am Anfang dachte ich: Das schaffe ich nicht, der Computer, die Kopfschmerzen – völlig konträr zu vorher. Dann habe ich die Menschen kennengelernt, den Rhythmus. Es ist nicht ausschließlich, nebenher bleibt Platz. Zeit ist ein Luxus, den ich mir im Moment auch „erkaufe“, um später wieder freier arbeiten zu können. Ich will nicht vom Büro direkt ins Atelier hetzen, sondern dem eine natürliche Bewegung lassen. Ich lerne gerade, auf den Rhythmus der Dinge zu vertrauen. Das Leben trifft den Moment. Auch das ist etwas, das ich erst in der Elternschaft so richtig verstanden habe, zu verkörpern. Geduld.

Du hast in den letzten Monaten offen kommuniziert, via Website und Social Media, dass man Arbeiten direkt bei dir kaufen kann. Das ist ungewöhnlich, oft redet die Kunstwelt nicht gerne über Geld.

Viele haben eine starke Abgrenzung dazu; ich verstehe das. Für mich spielt Social Media eine große Rolle: Es ist faktisch ein Marktplatz; Menschen ohne Kunsthintergrund werden aufmerksam und fragen, ob man etwas kaufen kann. Also habe ich Transparenz hergestellt. Kunst dürfte meiner Meinung nach noch viel mehr Raum in sozialen Netzwerken einnehmen. Nicht als Markt, sondern als Stimme. Mich erstaunt, wie wenig künstlerische Neugestaltung dieser Räume stattfindet, obwohl sie so viel Potenzial für Sichtbarkeit, Austausch und Haltung bieten.

Im Studium hörte ich Sätze wie „Das macht man nicht“ – oder sogar „Die ist leider Mama geworden“. Solche Bemerkungen klingen nach, weil sie ein Denken offenlegen, das Kunst und Leben, Berufung und Fürsorge, Autonomie und Mutterschaft voneinander trennt – als könnten diese Welten nicht zugleich bestehen. So verletzend solche Aussagen sind, ein Teil davon verweist auf ein strukturelles Problem. Erfolgreiche Künstlerinnen, die zugleich Mütter sind, gibt es – aber sie bleiben Ausnahmen in einem System, das Fürsorgearbeit kaum mit künstlerischer Selbstverwirklichung vereinbar macht.

Ich arbeite mit Galerien, bleibe aber offen und klar in der Kommunikation.

 

Anne-Clara Stahl

Fotos © Anne-Clara Stahl (Werke), Lisa Edi (Portraits)

 

Erlebst du deine künstlerische Sprache als stabil – trotz Umbruch?

Ich misstraue zu starren Konstanten und wechsle gern. Von außen wirkt es vielleicht kohärenter als für mich. Was bleibt, ist eine bestimmte Offenheit. Gerade erlaube ich mir, klein zu arbeiten und mehr zu schreiben. Wie sich das ausformt, kann ich noch nicht sagen.

Hast du Angst vor der Pause?

In mir ist das Bewusstsein „Ich bin Künstlerin“ solide. Die Frage ist eher: Teile ich diesen Prozess öffentlich oder behalte ich ihn bei mir? Weniger die äußeren Stimmen machen mir Sorgen, sondern was das Teilen mit meiner inneren Stabilität macht. Ich würde also nicht von Angst sprechen, sondern von Neugier und von jener Aufregung, die jeder neuen Situation innewohnt.

Und der Austausch mit anderen Künstlerinnen – tut der nicht gut?

Der ist wichtig. Ich spreche auch viel mit Freundinnen, die Mütter sind. Ich finde aber auch den Austausch außerhalb einer Kunstszene sehr bereichernd. Aufgeschlossen sein gegenüber unterschiedlichen Tätigkeitsgebieten.

In Bezug auf die Arbeit als Künstlerin waren für mich Residencies gerade häufig Thema – aber auch hier: Manches geht eine Weile nicht, kommt vielleicht später zurück. Es gibt Zeiten für alles.

Was bedeutet #jungbleiben für dich?

Wachsam sein. Mich hält zum Beispiel viel Bewegung wach. Ich würde behaupten, ich kenne dadurch meinen Körper so gut wie nie zuvor. Offen bleiben für Neues. Sogenannte „Brüche“ können neue Sichtweisen erzeugen, und es bleibt auf eine Weise spannend. Unterbrechungen sind wichtig, und das Schöne ist: Sie sind unsere Entscheidung, liegen in unserer Hand.

Jung bleiben bedeutet für mich, sich Pausen zu schenken, und damit meine ich keinen Stillstand. Ich meine Zeit für Reflexion.

Text: Paula Watzl

Fotos:

Studio Ansichten: Lisa Edi

Werkfotos: Anne-Clara Stahl

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