Meliha Guri Fotos © Sophie Nawratil
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Meliha Guri über die Rauhnächte: Stille für den Neustart

Meliha Guri arbeitet stets an Übergängen. Jenen unscheinbaren, aber entscheidenden Momenten, in denen etwas endet, ohne schon benannt zu sein, und Neues noch keinen Namen trägt. Seit Jahren begleitet sie Menschen durch Umbruchphasen und Zeiten des Innehaltens sowie der Neuorientierung. Ihre Arbeit verbindet zeitgenössische Energiearbeit, Embodiment und eine undogmatische Spiritualität, die ohne Inszenierung auskommt.

In ihrem Buch „Rauhnächte & Jahreskreisfeste“ rücken die Rauhnächte ins Zentrum: jene zwölf Nächte zwischen den Jahren, die traditionell als Zeit außerhalb der Ordnung gelten. Nicht als folkloristische Kulisse, sondern als Einladung, langsamer zu werden und Übergänge bewusst zu gestalten. Die Rauhnächte sind eine jahrhundertealte Tradition im alpenländischen Raum, die der Neuordnung gewidmet ist – innerlich wie äußerlich. Dazu gehört, die eigenen vier Wände im wahrsten Sinne des Wortes auszuräuchern, ebenso wie eine Form der inneren Klärung zu praktizieren. Altes im alten Jahr zu lassen, um dem neuen Raum zu geben. Das ist für Meliha Guri besonders wichtig: Diese Praxis zum Jahresende hat mir so viel Halt und Orientierung gegeben, dass ich begonnen habe, sie Jahr für Jahr zu praktizieren.

„Das bewusste Abschließen eines Zyklus, bevor ein neuer beginnt, ist in einer Welt, die ständig schneller wird,
ein wichtiges Werkzeug, um sich zu zentrieren und Altes zu würdigen.“

– Meliha Guri

Doch die Rauhnächte sind keine Erfindung des 21. Jahrhunderts, sondern Ausdruck eines menschlichen Grundbedürfnisses: innezuhalten, abzuschließen, sich neu auszurichten. Denn die Rauhnächte sind weit mehr als das Ausräuchern der Wohnung, das Geschmackssache ist. Wir haben mit Meliha Guri aber nicht nur darüber gesprochen, sondern auch über die Stille und Rituale, über bewusste Übergänge und die Frage, warum wir gerade heute wieder lernen müssen, Pausen einzulegen und sie auch auszuhalten. Und auch dafür sind die Rauhnächte die ideale Zeit, die uns entschleunigt.

Fotos © Sophie Nawratil

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Meliha, was hat dich zu den Rauhnächten geführt?
Ich bin 2017 zum ersten Mal auf die Rauhnächte gestoßen, in einem Moment, als alles in meinem Leben offen stand für das neue Jahr. Diese Praxis zum Jahresende hat mir so viel Halt und Orientierung gegeben, dass ich begonnen habe, sie Jahr für Jahr zu praktizieren.

Was ist das Besondere an den Rauhnächten?
Das lineare Jahr endet zwar, aber oft gibt es keinen wirklichen Abschluss, weil wir vor lauter Weihnachts- und Jahresabschlussstress gar nicht die Zeit dafür haben. Die Rauhnächte sind für mich ein Ritual, das mir erlaubt hat, langsamer zu werden und ehrlich hinzuschauen, was im Laufe des Jahres passiert ist, es zu integrieren und erst dann Wünsche und Vorsätze für das kommende Jahr zu formulieren.

Welche geschichtlichen Wurzeln der Rauhnächte waren dir beim Schreiben deines Buches besonders wichtig?
Mir war es wichtig, die Rauhnächte nicht nur als romantisierte Folklore darzustellen, sondern als das, was sie ursprünglich waren: eine Zeit außerhalb der Ordnung. Diese zwölf „magischen“ Nächte ergeben sich aus der Differenz zwischen dem Sonnenjahr mit 365 Tagen und dem Mondjahr mit 354 Tagen und galten in vielen Kulturen als zeitlos – als Phase, in der die üblichen Regeln nicht galten. Eine Schwellenzeit zwischen Licht und Dunkel, zwischen Alt und Neu. Nach der Wintersonnenwende am 20. oder 21. Dezember, der längsten Nacht des Jahres, gehen wir in die helle Jahreshälfte über. Doch bevor das Licht und damit die Klarheit wirklich zurückkehren, gibt es während der Rauhnächte eine Art Leerlauf, um sich zu sammeln. Diese Nächte finden – je nach Region – von der Nacht vom 24. auf den 25. Dezember bis zum 6. Jänner statt.

Fotos © Sophie Nawratil

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Rund um die Rauhnächte hast du eine Community aufgebaut. Wie ist das passiert?
Als Guide im Bereich der Persönlichkeitsentwicklung und aufgrund meines Interesses an einem zyklischen Leben im natürlichen Rhythmus der Natur haben meine Freundin Christina Danetzky und ich 2020 unser erstes Online-Rauhnächte-Programm, Oracle Vision, kuratiert, das sich auf Integration, Übergänge und bewusste Ausrichtung konzentriert. Heute hat sich eine umfangreiche Community gebildet, die sich Jahr für Jahr in dieser Zeit selbst widmet. So sind die Rauhnächte auch ein zentrales Thema in unserem Buch „Rauhnächte & Jahreskreisfeste“ geworden. Das bewusste Abschließen eines Zyklus, bevor ein neuer beginnt, ist in einer Welt, die ständig schneller wird, ein wichtiges Werkzeug, um sich zu zentrieren und Altes zu würdigen.

Welche Mythen, Bräuche oder Überlieferungen rund um die Rauhnächte haben dich besonders inspiriert?
Mich hat vor allem die Vorstellung interessiert, dass in dieser Zeit die “Schleier dünner sind” – im Sinne der Wahrnehmung. Es wird erzählt, dass wir empfänglicher für Omen und Botschaften für die Zukunft sind und dass Träume jeder Nacht einem Monat des kommenden Jahres zugeordnet werden können. Ich deute das als besondere Verbundenheit mit der eigenen Intuition und dem Unterbewusstsein, wenn es draußen still und rau wird. Auch die Idee der “Wilden Jagd”, die über das Land fegt, hat mich beschäftigt. Die Winter waren hart, die Dunkelheit nicht durch künstliches Licht erhellt. Der Rückzug zum Schutz wurde so auch ein Prozess der inneren Einkehr. In unserem Buch geht es darum, diese Bilder als innere Landschaften zu verstehen, nicht als Aberglauben.

[Anmerkung: Die „Wilde Jagd“ ist ein Mythos der nordischen Mythologie, der in den Rauhnächten eine Heerschar von Geistern und Dämonen unter Führung von Figuren wie Frau Percht, Wotan oder Frau Holle beschreibt. Nach diesen Erzählungen können sie Unheil bringen, weswegen man in dieser Zeit die Bräuche befolgen muss.]

Warum sind die Rauhnächte aus deiner Sicht gerade in unserer heutigen, schnellen Welt wieder so relevant?
Weil wir kaum noch Pausen haben. Selbst zwischen den Jahren sind viele Menschen mit Weihnachtsfeiern, Familientreffen und Silvester beschäftigt und kommen kaum zur Ruhe. Die Rauhnächte standen auch dafür, dass es Phasen braucht, in denen wir nichts machen müssen – in denen es nicht um Leistung geht, sondern um Ehrlichkeit mit sich selbst. Sie laden ein, loszulassen und die eigenen Ziele und Vorsätze bewusst zu überprüfen.

Welche Rolle spielen Rituale während der Rauhnächte und was bewirken sie auf innerer Ebene?
Rituale sind keine magischen Handlungen im wörtlichen Sinn. Wenn wir räuchern, schreiben, loslassen oder innehalten, signalisieren wir unserem Nervensystem Präsenz im Jetzt und einen bewussten Übergang. Auf innerer Ebene schaffen Rituale Sicherheit. Sie helfen, Emotionen zu regulieren, Erinnerungen zu integrieren und würdevoll Abschied zu nehmen.

„Es geht darum, uns mit unserer Intuition zu verbinden und uns selbst wieder zu spüren.“


– Meliha Guri

Gibt es ein traditionelles Rauhnachtsritual, das oft vereinfacht dargestellt wird und dem du in deinem Buch mehr Substanz gibst?
Ja, das Thema Wünsche. Oft werden die Rauhnächte auf das bekannte 13-Wünsche-Ritual reduziert: 13 Wünsche aufschreiben, jede Rauhnacht einen verbrennen, und um den übrig gebliebenen soll man sich selbst kümmern. In unserem Buch gehen wir bewusst weiter und fragen vor dem Wünschen: Warum wünschen wir uns das? Ist es ein ehrlicher Wunsch für uns selbst oder mit Hintergedanken? Woran halten wir fest, was diesen Wunsch bisher verhindert hat? Erst aus dieser Klarheit heraus gewinnen Wünsche eine authentische Ausrichtung.

Fotos © Sophie Nawratil

Meliha Guri und Co-Autorin Christina Danetzky | Fotos © Sophie Nawratil

Was empfiehlst du Menschen, die die Rauhnächte zum ersten Mal bewusst erleben möchten?
Nicht alles richtig machen zu wollen. Keine Rituale akribisch nach fremden Regeln abzuspulen. Viel wichtiger ist es, Raum und Zeit zu schaffen, in denen Reflexion möglich wird. Einfache, ehrliche Rituale wirken oft stärker als jede aufwendige Inszenierung. Ein Journal, ein paar stille Minuten am Tag, vielleicht eine Kerze anzünden – das reicht vollkommen.

Welche Bedeutung haben Stille, Rückzug und Innenschau in dieser besonderen Zeit zwischen den Jahren?
Sie sind das Herzstück. Stille, damit wir uns selbst wieder hören können. Rückzug zur Selbstführung und zur Innenschau, um zu erkennen, was uns wirklich bewegt hat. Es geht darum, uns mit unserer Intuition zu verbinden und uns selbst wieder zu spüren.

Welche zentrale Botschaft über die Rauhnächte möchtest du den Leser:innen deines Buches mit auf den Weg geben?
Die Rauhnächte – wie auch andere Jahreskreisfeste – müssen kein spirituelles Event sein. Jede und jeder darf sie auf eigene Weise praktizieren; dabei kann man nichts falsch machen. Es sind Zeiträume, in denen Übergänge bewusst gestaltet werden dürfen. Unser Buch ist ein Begleiter: mit historischen und mythologischen Hintergründen sowie Impulsen, wie wir diese Feste heute in urbanen Räumen und in einer modernen Welt leben können – authentisch, ohne uns dabei selbst zu verlieren.

Meliha Guri ist auf laguri.com und auf Instagram @la_guri_vision erreichbar.

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