
Pauline Rochas – Das Unsichtbare fühlbar machen
Pauline Rochas ist eine international gefeierte Parfümeurin und kreative Direktorin, die heute in Wien lebt. Bevor sie die österreichische Hauptstadt mit ihren feinsinnigen Duftkompositionen bereicherte, verbrachte sie zwei Jahrzehnte in New York, wo sie sich zunächst als erfolgreiche Fotografin einen Namen machte. Ihre Kamera war damals ihr Mittel, Emotionen, Licht und Texturen einzufangen – eine visuelle Sprache, die später zu einer olfaktorischen wurde.
Als Enkelin von Marcel und Hélène Rochas – Ikonen der französischen Mode- und Duftgeschichte – wuchs sie in einem Umfeld auf, das von Kreativität, Eleganz und kompromisslosem Handwerk geprägt war. Ihr Großvater war der Schöpfer des legendären Parfums Femme, das bis heute als Meilenstein in der Duftwelt gilt. Dieses Erbe war nie Last, sondern Inspiration: eine Einladung, ihre eigene Sprache zu finden – jenseits von Konventionen, aber mit tiefer Ehrfurcht vor der Tradition.
Kannst du uns von deinem Weg erzählen – von deinen Anfängen als Fotografin in New York bis hin zur Parfümeurin und dem Launch deiner eigenen Duftlinie?
Meine Reise begann visuell – Fotografie war meine erste Liebe, eine Möglichkeit, die Welt durch Emotion, Licht und Textur zu interpretieren. New York war unerschöpfliche Inspiration, aber mit der Zeit sehnte ich mich danach, ein intimeres, körperlicheres Medium zu erkunden. Duft ist unsichtbar, doch zutiefst evokativ. Es fühlte sich nach einer natürlichen Entwicklung an, vom Festhalten von Bildern zum Erschaffen von Atmosphären mittels Duft. Meine eigene Linie zu gründen, ermöglichte es, all jene Fäden meines Lebens – Kunst, Erinnerung, Gefühl – in etwas ganz Persönliches zu verweben.
„Präzision ist essenziell, um die Idee in etwas Tragbares und Bedeutungsvolles zu formen.“
– Pauline Rochas
Wenn du an einem neuen Duft arbeitest – startest du von einer Emotion, einer Erinnerung oder einem technischen Konzept – und wie balancierst du Intuition mit Präzision aus?
Ich beginne meist mit einer Emotion oder Atmosphäre, etwas, das gefühlt wird, bevor es benannt ist. Dieser Funke kann von einer Erinnerung, einem Ort oder sogar einem Musikstück ausgelöst werden. Dann lasse ich die Intuition führen, aber Präzision ist essenziell, um die Idee in etwas Tragbares und Bedeutungsvolles zu formen. Ich denke dabei an eine Komposition: Das Herz gestaltet die Melodie, die Struktur sorgt für Harmonie.
Du hast maßgeschneiderte Dufterlebnisse für Hotels und Privatkunden geschaffen – worin unterscheidet sich das Duftdesign für einen Raum von der Entwicklung eines Parfums für eine Person?
Ein Duft für einen Raum zu entwerfen ist wie das Setzen eines emotionalen Tons in einem Raum. Es geht um Atmosphäre, Intention und den Dialog mit Licht, Materialien und Luft. Er muss weitreichend und doch subtil sein. Für einen Menschen zu kreieren ist dagegen viel intimer – es geht darum, Essenz, persönliche Geschichte und Sehnsüchte einzufangen. Beides ist kreativ, doch unterscheiden sich Maßstab und Psychologie.

Fotos © Mato Johannik
Wie hat dein Aufwachsen als Enkelin von Marcel und Hélène Rochas dein Verständnis von Duft, Kunst und Erbe geprägt?
Umgeben von diesem Erbe zu sein, war sowohl inspirierend als auch verankert. Mein Großvater war ein Visionär, der Couture und Parfum zu einer Einheit verband, während meine Großmutter die Eleganz und Kühnheit ihrer Zeit verkörperte. Ihr Leben war tief in Kunst und Disziplin verwoben. Schon früh wurde mir klar, dass Duft nicht einfach Luxus ist, sondern Ausdruck von Identität und Kultur. Ihre Geschichte lehrte mich Respekt für Handwerk und den Mut, meine eigene Stimme innerhalb dieser Tradition zu finden.
„Nocturnal“ ist der jüngste Duft deiner Linie – mit reichen Noten wie Leder, Vanille, Safran, Moschus und Tonkabohne – welche persönliche Bedeutung hatte jede dieser Zutaten für dich während der Entstehung?
„Nocturnal“ ist zutiefst persönlich, geboren aus der stillen, mysteriösen Energie der Nacht, wenn die äußere Welt verblasst und das innere Selbst erwacht. Leder steht für Stärke und Sinnlichkeit. Vanille verleiht eine tröstende, fast nostalgische Sanftheit. Safran bringt Spannung, eine goldene, leicht bittere Kante. Moschus ist Intimität, während die Tonkabohne alles mit einer Tiefenwärme zusammenbindet. Zusammen bilden sie eine olfaktorische Art Tagebuch aus Selbstreflexion und Begierde.

Fotos © Pauline Rochas
Was war deine größte Herausforderung bisher, deine eigene Identität in der Parfümwelt zu formen?
Die größte Herausforderung war, meinen eigenen Weg zu finden – nicht durch mein Erbe definiert zu werden, zugleich aber es zu ehren. Es gibt sowohl Privileg als auch Druck, einen bedeutenden Namen zu tragen. Ich musste mich fragen: Was möchte ich sagen und wie sage ich es auf eine Art und Weise, die absolut authentisch ist? Die Antwort fand ich im ehrlichen Gestalten und dem Widerstand gegen Trends – und in der Führung durch meine Intuition.
Welche Duftnoten liegen dir am meisten am Herzen und welche Erinnerungen wecken sie?
Ohne Frage – sie bringt mich sofort zurück in den Garten meiner Großmutter an der Côte d’Azur, ein Ort, an dem Natur wirklich magisch war. Eiche mit warmen Vanille- und gerösteten Holznoten ruft Kindheitssommer im Weinkeller von Bordeaux hervor. Neroli, Gardenie, Feige und Zitrone fühlen sich an wie pures Sonnenlicht – sie rufen mediterrane Nachmittage hervor. Diese Noten sind nicht nur schön; sie sind Gefäße der Erinnerung, zeitlich eingefrorene Fragmente.

Fotos © Pauline Rochas / Kari Shu Photo
Wie riecht Wien für dich und was liebst du am meisten an der Stadt – sowohl als Parfümeurin als auch als Person?
Wien riecht für mich nach Altem und Eleganz mit modernem Herzschlag. In der Luft liegt Reichtum aus Stein, Kaffee, Schokolade, Gebäck, Lindenbäumen – und etwas leicht Melancholisches, wie ein fernes Echo eines Walzers. Als Parfümeurin schätze ich die geschichtlichen Schichten und die raffinierte Ästhetik der Stadt. Persönlich liebe ich ihren Rhythmus: überlegt, langsam im besten Sinn und zutiefst menschlich.
Was bedeutet Nachhaltigkeit für dich?
Nachhaltigkeit heißt für mich bewusstes Kreieren: sorgfältige Auswahl von Zutaten und Materialien, Abfallminimierung und langfristiges Denken. Es bedeutet auch emotionale Nachhaltigkeit: Produkte zu schaffen, die resonieren und Bestand haben, statt endloser Konsumzyklen. Für mich ist es eine Frage des Respekts – vor der Erde, dem Handwerk und den Menschen, die erleben, was ich erschaffe.