
Studio Visit: Anna-Maria Bogner
Die gebürtige Tirolerin Anna-Maria Bogner (*1984) setzt sich in ihrer Arbeit mit unserer Raumwahrnehmung auseinander. Sie baut dabei auf die Tatsache, dass kulturelle und soziale Gegebenheiten unsere Raumwahrnehmung bestimmen und der Mensch den an sich unendlichen Raum eingrenzt und ordnet.
Anna-Maria Bogner: „Eingrenzen“ ist ein gutes Stichwort. Mein Atelier hier in Düsseldorf platzt bereits aus allen Nähten. Manches muss temporär bereits umgelagert werden. Meine Installationen und Objekte konzipiere ich alle am klassischen Kartonmodell. Auch bei den Zeichnungen und Fotografien habe ich eine ähnliche Herangehensweise, allem geht ein kleiner, maßstabgetreuer Entwurf oder Modell voraus. Zeichnungen fertige ich zudem im Stehen an. Das Papier hierfür befestige ich direkt auf der Wand, so wie auch bei dieser Zeichnung hinter mir.

Fotos © JMR-Dokumentation, Bildrecht Wien
PARNASS: Wenige Striche, einige schwarze Felder… 2025 hast du schon in Wien, Buenos Aires und Berlin ausgestellt. Außerdem ist eine weitere Einzelausstellung im Museum gegenstandsfreie Kunst in Otterndorf bei Cuxhaven von August bis Oktober geplant. In diesem Jahr nimmst du auch noch an einer Biennale in Frankreich teil, im Herbst bist du zwei Monate in Mänttä (Finnland) [siehe Parnass 2024]. Wie aber bist du zur Kunst gekommen?
Anna-Maria Bogner: Ich war im Kindergarten schon eines dieser Kinder, das lieber gezeichnet hat, als sich mit anderem zu beschäftigen. Schon damals habe ich immer gesagt: ich werde Künstlerin. Und das hat niemand in Frage gestellt, auch ich nicht (lacht). Natürlich war das nicht die Berufswahl, die meine Familie von mir erhoffte, aber ich bin eben ein ziemlicher Dickschädel. Soll heißen: Wenn, ich nicht an einer Sache zweifle, lasse ich auch keinen Zweifel von außen zu und mehr als schief gehen kann es ja auch nicht.
PARNASS: Und ist es auch nicht!
Anna-Maria Bogner: Noch nicht! (lacht) Diese Gewissheit muss man als Kunstschaffende auch immer haben. Man ist als Künstler:in nie fertig. Ein Projekt folgt auf das nächste, eine Fragestellung wird durch eine andere abgelöst. Dazwischen hat man noch seine künstlerischen Existenzkrisen.
PARNASS: Apropos Fragestellung: Du beschäftigst dich intensiv mit dem Thema Raumwahrnehmung. In deinen Installationen, Zeichnungen, Objekten und Fotografien irritierst du dein Publikum und sensibilisierst es gleichermaßen für neue mögliche Auffassungen von Raum.
Anna-Maria Bogner: Meine Faszination gilt der Konstruktion und der Beschaffenheit von Räumen. Im Zentrum meiner Überlegungen steht dabei allerdings immer das Individuum. So spielen meine Arbeiten mit den Grenzen und Möglichkeiten der je eigenen Raumwahrnehmung. Meine Arbeiten machen in den unterschiedlichen Medien, immer ein Angebot an die Betrachter:innen. Sich in einer möglichen Situation wiederzufinden und selbst zu untersuchen, wie das Werk auf sie und sie auf das Werk wirken. Denn über das Erkunden, schaffen wir Erleben, das zu Erfahrung wird. Wir sind somit selbst Erbauer unserer eigenen Realität. Und bestimmen die Weite unserer Räume selbst.

Fotos © Jens Sundheim, Bildrecht Wien (li); Stefan Rasberger, Labsal.at (re)
PARNASS: Wie bist du dazu gekommen, dir diese Fragen zu stellen?
Anna-Maria Bogner: Das Thema Raum hat mich schon immer interessiert. Rückblickend kann ich auf ein Erlebnis in meiner Kindheit verweisen, das mich nachhaltig beeindruckt hat: Mein damaliger Besuch der Frauenkirche, München und mit ihr die Legende um den „Teufelstritt“. Diese besagt, dass der Baumeister mit dem Teufel einen Pakt geschlossen habe, damit ihm dieser helfe, die Kirche zu bauen. Im Gegenzug dürfe diese aber keine Fenster haben. Als die Kirche fertig war, wirft der Teufel einen Blick in das Kirchenschiff und sieht in der ganzen Kirche kein einziges Fenster, denn er stand genau an dem Ort, wo alle Fenster von Säulen verdeckt werden. Vor Freude stampft der Teufel fest auf und hinterlässt seinen Fußabdruck im Pflaster.
Und genau von dort aus erscheint einem die Kirche fahl und dunkel, bis man seine Position verändert, der Kirchenraum plötzlich von Licht durchflutet und man sich seiner eignen Verantwortung bewusst wird.
PARNASS: Das heißt also unsere Position im Raum definiert unsere Sichtweise auf diesen?
Anna-Maria Bogner: Genau. Das Licht, erschließt sich erst durch die Bewegung des Einzelnen im Raum. Dieses Verschieben von Perspektiven je nach Standpunkt hat mich fasziniert. Auch die Tatsache, dass man eine Geschichte körperlich und geistig zugleich begreifen bzw. erfahren kann.
Im Grunde ist es daher egal, ob man jetzt vor einer Wand steht oder auf einem offenen Feld herumläuft – die Perspektive muss stets aus uns selbst kommen und lauten: Ich möchte entdecken und dann entdeckt man auch.
PARNASS: Deine Kunst macht den Betrachter:innen das Angebot sich über die eigene Raumwahrnehmung bewusst zu werden. Ein Problem liegt dabei aber schon im deutschen Sprachgebraucht des Begriffes „Raum“, der mit klaren Grenzen assoziiert ist.
Anna-Maria Bogner: Das lässt sich leider aus unserer Sprachkultur nicht mehr wegdividieren. Es gibt viele Kulturen, die einen ganz anderen Raumbegriff haben und damit auch eine andere bildliche Assoziation. Im Japanischen zum Beispiel heißt es – frei übersetzt – „der Raum, der aus dem Ort entsteht“. In unserer westlichen Kultur ist der Raum immer zuerst da. Besonders klar wird das bei der Redewendung „irgendwo im Nirgendwo“. Bei uns würde man das mit einer Einöde gleichsetzen, im japanischen wäre man aber weder in einer Zeit noch in einem Raum. Dort braucht man immer das Gegenüber als Existenzbeweis.

Fotos © Daniela Friebel, Bildrecht Wien (li); Andreas Schimanski, Bildrecht Wien (re)
PARNASS: Um diese Sehgewohnheiten auf die Probe zu stellen, verwendest du in deinen primären Medien – Zeichnung, Objekt, Fotografie und Installation – meist minimale Mittel.
Anna-Maria Bogner: Ich gebe den Betrachter:innen so wenig wie möglich vor. Daraus entsteht eine Situation, in der jeder auf sich selbst zurückgeworfen wird und gezwungen ist, die Parameter seiner eigenen Wahrnehmung abzutasten. Und dann passiert jener Effekt, der mich damals in der Münchner Frauenkirche so fasziniert hat: Wenn wir die eigenen, meist selbst auferlegten Perspektiven verlassen, verändern wir uns und mit uns der Raum.
PARNASS: Was bedeutet daher #jungbleiben für dich?
Anna-Maria Bogner: Neugierig sein! Und darauf vertrauen, dass alles möglich ist.
Text: Andreas Maurer