Kinderzimmer Kubatur Foto by Chris Sauper
Fotos © Chris Sauper

Agathe Descamps und ihre Kubatur des neuen Wohnens

In einer Stadt, in der Wohnraum immer teurer und knapper wird, entscheidet sich Agathe Descamps bewusst gegen das Naheliegende – den Umzug – und für das Bleiben. Die gebürtige Französin, die seit 2008 mit ihrer Familie im 18. Bezirk Wiens lebt, hat mit „Kubatur“ eine Antwort auf eines der drängendsten Probleme des urbanen Alltags gefunden: den Mangel an Raum. Ihre Lösung? Kein klassisches Möbelstück, sondern ein durchdachtes Wohnsystem, das mehr als nur Platz schafft.

Kubatur ist ein maßgeschneidertes Modul, das aus einem Raum zwei macht – ohne Wände einzureißen, ohne den Mietvertrag zu gefährden, ohne die vertraute Nachbarschaft zu verlassen. Als „Frankfurter Kinderzimmer“ bezeichnet Descamps ihre Kreation in Anlehnung an Margarete Schütte-Lihotzky, deren berühmte Frankfurter Küche einst den Alltag von Millionen Frauen veränderte. Auch Descamps’ Arbeit ist politisch, praktisch und poetisch zugleich: ein Gegenentwurf zur ständigen Mobilität und ein Plädoyer dafür, dass der Raum sich dem Leben anpassen sollte – nicht umgekehrt.

Was macht für Sie ein echtes Zuhause aus und was führte Sie auf den Weg, Interior‑Designerin zu werden?

Ein echtes Zuhause ist für mich der Ort, an den man nach einem Arbeits‑ oder Schultag gerne zurückkehrt – ein Ort, auf den man sich freut. Wohnen war mir immer wichtig. Interior‑Designerin bin ich allerdings relativ spät geworden: Nach meiner zweiten Karenz war meine Rückkehr in die Arbeit sehr unangenehm – leider ein Klassiker! Meine Vertretung war jünger, günstiger – und ich war am Arbeitsplatz nicht mehr willkommen. Kurz vor meinem 40. Geburtstag dachte ich: „Wenn ich beruflich etwas anderes machen will, dann jetzt oder nie.“ Daraufhin habe ich das Kolleg für Möbelbau und Innenarchitektur an der HTL Mödling besucht.

Kubatur Kinderzimmer Lösungen Foto: Kubatur

Eine Lösung, die auch für Mietwohnungen gedacht ist, da der Raum nicht verändert wird und “Kubatur” abbau- und transportierbar ist. | Foto © Kubatur

Was bedeutet für Sie gutes Design?

Vitruvs „Firmitas, Utilitas, Venustas“ – also „Festigkeit, Nützlichkeit, Schönheit“ – sind für mich die Grundpfeiler guten Designs. Daran hat sich seit dem 1. Jahrhundert v. Chr. nichts geändert. Der Rest verändert sich mit den Herausforderungen der Zeit und Gesellschaft. Heute kann ich mir kein gutes Design mehr ohne Nachhaltigkeit und Bescheidenheit vorstellen.

Was genau versteht man unter „evolutivem wohnen“, und warum denken Sie in Kubikmetern statt Quadratmetern?

Der Begriff „evolutiv wohnen“ entstand, als ich einen Titel für meine Diplomarbeit suchte – gemeinsam mit Brini Fetz, einer fantastischen Grafikdesignerin. Er beinhaltet zwei Aspekte: Die Art zu wohnen verändert sich im Laufe des Lebens mit unseren Bedürfnissen. Anstatt umzuziehen, lassen wir die Wohnräume mit uns mitwachsen. Wir müssen den Raum unbedingt dreidimensional denken. In Großstädten ist Wohnraum knapp. Nur im Grundriss zu planen reicht nicht. Gerade heute, wo Platzmangel herrscht, wäre es schade, die senkrechte Dimension nicht auszunutzen. Auf Stadtebene passiert das längst – siehe Wolkenkratzer.

Margarete Schütte‑Lihotzky hat mit der Frankfurter Küche eine Wohnlösung geschaffen, die den Alltag vieler Frauen revolutionierte. Sie entwickeln mit Kubatur ebenfalls eine Antwort auf die realen Bedürfnisse von Familien im urbanen Raum. Braucht es mehr Frauen im Design‑ und Architekturbereich, um solche praktischen, alltagsnahen Lösungen zu entwerfen?

Margarete Schütte‑Lihotzky ist eine große Inspiration. Ich sehe die Kubatur als das „Frankfurter Kinderzimmer“. Natürlich braucht es mehr Frauen im Design‑ und Architekturbereich – allein schon, weil wir eine egalitäre Gesellschaft wollen und brauchen. Ich glaube jedoch nicht, dass Frauen automatisch besser darin sind, alltagsnahe oder familienfreundliche Lösungen zu entwickeln als Männer. Lustigerweise habe ich heute auf einem Instagram‑Account, dem ich folge (@lindeprimeuse), Folgendes gelesen – ich habe es für euch aus dem Französischen übersetzt: „Quand on se complimente entre femmes, ce n’est pas pour élire une reine. C’est pour agrandir le royaume.“ – „Wenn Frauen einander Komplimente machen, geht es nicht darum, eine Königin zu wählen. Es geht darum, das Königreich zu vergrößern.“ Vielleicht ist genau das der Unterschied: Wenn Männer nicht mehr die dominante Klasse sind, werden auch sie in der Lage sein, so zu denken.

"Kubatur"-Erfinderin Agathe Descamps | Foto © Barbara Wirl

Kubatur-Erfinderin Agathe Descamps | Foto © Barbara Wirl

Was war der entscheidende Moment, in dem Sie sich entschieden haben, Kubatur zu entwickeln und als Produkt auf den Markt zu bringen

Corona! Ich verdanke dem Virus alles. [lacht.] Ich habe meine Ausbildung im Oktober 2019 abgeschlossen … und dann kam 2020. Pech … Ich fand keinen Job. Stattdessen musste ich als französischsprachige Mutter meinen Kindern Deutsch unterrichten – eine Katastrophe! Nach ein paar Monaten als (von meinen Kindern ernannte) „schlechteste Lehrerin der Welt“ dachte ich: „Wenn ich nicht durchdrehen will, muss ich wieder arbeiten können.“ Also baute ich den Prototypen der Kubatur – die ersten Skizzen entstanden bereits nach der Geburt meines zweiten Kindes – in meiner eigenen Wohnung. Ich stellte eine kleine Website online, wurde für den Design Staatspreis nominiert und die ersten Kund:innen kamen auf mich zu.

„Ich habe die Perspektive gedreht: Statt Möbelstücke ins Kinderzimmer zu stopfen, habe ich versucht, ein Kinderzimmer in ein Möbelstück zu geben.“

Agathe Descamps

Wie lässt sich Kubatur in bestehende Wohnräume integrieren?

Ganz einfach! Sie haben einen Raum, der geteilt werden soll. Die Kubatur wird dann individuell nach den Maßen des Zimmers, nach den Bedürfnissen und Wünschen entworfen. Sollte das Zimmer für eine klassische Kubatur nicht geeignet sein, entwickeln wir eine alternative Raumlösung. Die Kubatur wird in der Werkstatt in Niederösterreich gebaut und innerhalb von ein bis zwei Tagen montiert. Wichtig: Sie kann rückstandslos entfernt, wiederaufgebaut und angepasst werden – was auch einen Weiterverkauf möglich macht.

Kubatur Kinderzimmer Lösungen Agathe Descamps Foto: Kubatur

Foto © Kubatur

Worin liegt für Sie der Unterschied zwischen Möbelstück und Wohnsystem?

Im Fall der Kubatur gibt es keinen Unterschied. Der entscheidende Faktor: Ich habe bei der Entwicklung bewusst an Mieter:innen gedacht. Innenarchitektur richtet sich meist an Eigentümer:innen. Aber wir – ich bin Teil davon – wollen auch so wohnen können, wie wir es uns wünschen. Deshalb habe ich mich gefragt: Was darf ich in meiner Wohnung ohne Erlaubnis der Vermieterin oder des Vermieters verändern? Möblieren! Ich habe die Perspektive gedreht: Statt Möbelstücke ins Kinderzimmer zu stopfen, habe ich versucht, ein Kinderzimmer in ein Möbelstück zu geben.

In Großstädten ist Wohnraum knapp. Nur im Grundriss zu planen reicht nicht. Gerade heute, wo Platzmangel herrscht, wäre es schade, die senkrechte Dimension nicht auszunutzen.

Agathe Descamps

Warum war Ihnen Regionalität und Nachhaltigkeit bei der Produktion so wichtig?

Ganz ehrlich? Weil es heute keine Alternative mehr geben darf. Wir müssen nachhaltig und regional arbeiten – alles andere ist nicht mehr zeitgemäß.

Gibt es Überlegungen, Kubatur für andere Wohnbedürfnisse – etwa Home‑Office oder Seniorenwohnen – anzupassen?

Oh ja – und ich freue mich sehr darauf! Wir haben bereits eine Home‑Office‑Plus‑Kinderzimmer‑Version entwickelt sowie Schlaf‑Pods für Eltern. Außerdem gestalten wir regelmäßig gemeinsam mit Kund:innen individuelle Raumlösungen. Ich bin überzeugt: In diesem Bereich gibt es noch viel zu erfinden!

Wie wünschen Sie sich das Wohnen in den Städten der Zukunft?

Evolutiv – natürlich! Und vor allem leistbar. Ich wünsche mir außerdem, dass Stadtbewohner:innen nicht als Kund:innen, sondern als Miteigentümer:innen ihrer Stadt verstanden werden. Wir Bürger:innen sind keine Gäste – wir sind die Stadt.

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