
Zwischen den Nähten – Paula Votteler über ihre nachhaltige Vision
Paula Votteler sammelt, was andere achtlos wegwerfen: Muschelschalen aus Restaurants, Reste aus Werkstätten, Stoffe von Flohmärkten. Aus diesen Fundstücken entstehen Einzelstücke, die aussehen, als kämen sie direkt von einer Kunstinstallation in die Straßen von Berlin. Die Designerin hat Verpackungstechnologie studiert und nutzt dieses Wissen, um Mode zu entwerfen, die keinen Trends hinterherläuft – sondern Geschichten erzählt. Diese Geschichten teilt sie auch in ihrem Entstehungsprozess auf Instagram. Und auch ihre Erfolge, wie beispielsweise die erst kürzlich “Cameo” einer ihrer Taschen in der HBO-Serie “And Just Like That” am Arm der Fashion-Ikone Carrie Bradshaw.
Doch Glitz und Glamour ist die viele Arbeit und Stunden, die in jedem Stück stecken nicht. Für Paula Votteler ist es aber viel mehr. Es ist ihre Antwort auf die Wegwerfgesellschaft, die nicht mit erhobenem Zeigefinger daherkommt, sondern mit Objekten, die neugierig machen. Dabei setzt sie auf die stille Überzeugungskraft: Wer ihre gehäkelten Taschen oder bestickten Tops in der Hand hält, spürt, dass hier Zeit, Geduld und handwerkliche Fähigkeiten eingeflossen sind, wie sie bereits selten geworden sind. Jedes Stück ist ein bewusster Gegenentwurf zu Fast Fashion – liebevoll gefertigt, langsam entstanden und mit einer klaren Botschaft zwischen den Nähten.
Das #jungbleiben Magazin hat Paula Votteler interviewt.
Gibt es ein Material, das dich besonders fasziniert oder inspiriert?
Absolut: Muscheln. Ich liebe ihren Glanz, ihre Textur, das Spiel von Licht im Perlmutt. Als Kind habe ich sie am Strand gesammelt, heute frage ich in Restaurants oder Zuchtfarmen nach – dort sind sie Abfallprodukte. So bekommen sie ein zweites Leben, statt unbemerkt entsorgt zu werden.

Fotos © Paula Votteler
Du hast Verpackungstechnologie studiert – wie hat dich dieses technische Wissen später im Modedesign beeinflusst?
Mein Studium hat mir vor allem den Blick für das Potenzial vieler Materialien geöffnet und die Gewissheit, dass wir ein massives Problem mit Verpackungsmüll haben. Mir ist bewusst, dass meine Arbeiten dieses Problem nicht lösen werden. Aber ich hoffe, dass sie ein Bewusstsein schaffen. Ich bin überzeugt, dass man Menschen eher mit schönen, inspirierenden Dingen erreicht als mit schockierenden, bedrückenden Bildern. Manchmal ist ein liebevoll gefertigtes Objekt ein leiserer, aber nachhaltigerer Weckruf.
Woher bekommst du die Materialien, die du in deinen Produkten einsetzt?
Ich bin eine Sammlerin, im besten Sinne. Manche Materialien begleiten mich über Jahre, bis sie endlich ihre Bestimmung finden. Ich bitte Freunde und Familie, mir bestimmte Dinge aufzuheben oder zu sammeln, und frage auch in Restaurants oder Werkstätten nach. Oft beginnt eine Arbeit mit einem Material, das einfach zu mir kommt.

Fotos © Paula Votteler
Einige deiner Stücke wiegen hunderte Arbeitsstunden – was treibt dich an, so viel Zeit und Geduld zu investieren?
Es ist wie ein innerer Motor. Wenn ich eine Idee habe, muss sie raus in die Welt – egal, wie lange es dauert. Der Prozess selbst ist für mich fast meditativer als das Endergebnis. Beim Arbeiten mit den Händen komme ich zur Ruhe, tauche in eine andere Zeit ein. Es ist mein Rückzugsort, mein Gleichgewicht.
Wie integrierst du verschiedene Techniken wie Stickerei, Weberei, Häkeln oder Perlenarbeit in ein einzelnes Werk?
Ich liebe es, Techniken wie Zutaten in einem Rezept zu mischen. Manchmal entscheide ich das spontan, manchmal ist es von Anfang an Teil des Designs. Ein Beispiel: ein gehäkeltes Top, besetzt mit Perlen, durch das ich zusätzlich gewebte Bänder gezogen habe. So entstehen kleine textile Geschichten.

Fotos © Paula Votteler
Was bedeutet Nachhaltigkeit für dich persönlich im Kontext der Modeindustrie?
Für mich heißt Nachhaltigkeit: So wenig neue Ressourcen wie möglich zu verbrauchen. Ich kaufe fast alle Stoffe, Garne, Perlen und Wollen second-hand – auf Flohmärkten, in Sozialkaufhäusern oder über private Sammlungen. Das macht meine Arbeit nicht nur ressourcenschonend, sondern gibt den Materialien auch eine Geschichte.
„Jedes Stück soll einzigartig und bewusst geplant sein.“
– Paula Votteler
Was hat dich am meisten stolz gemacht in deiner bisherigen Schaffensperiode?
Definitiv der Moment, als Sarah Jessica Parker in ihrer Rolle als Carrie Bradshaw eine meiner Taschen getragen hat.
Wie möchtest du mit deinen Arbeiten eine Haltung gegen Fast Fashion vermitteln?
Meine Arbeit ist in jedem Schritt ein Gegenentwurf zu Fast Fashion, denn zum einen verwende ich Abfallprodukte oder bereits genutzte Materialien, die ich langsam und bedacht verarbeite. Ich mache eben keine Massenwaren, denn es sind Einzelstücke, die mit Liebe gefertigt und verschickt werden.

Fotos © Paula Votteler
Was sind deine Ziele für Atelier Paula Votteler – hinsichtlich Online-Präsenz, Ateliererweiterung oder neuen Kollektionen?
Nach dem Modedesignstudium wünsche ich mir ein größeres Atelier – mit mehr Platz für meine stetig wachsende Sammlung an Materialien. Und ich träume von einem kleinen Team aus drei bis vier Mitarbeiter:innen, um meine Ideen noch umfassender umsetzen zu können. Aber eines soll bleiben wie es ist: Jedes Stück soll einzigartig und bewusst geplant sein.
Du sagst, kreative Arbeit ist eine Art Meditation für dich – wie beeinflusst das dein tägliches Leben?
Ein Tag ohne Kreativität fühlt sich für mich unvollständig an. Natürlich lässt sich nicht jeder Tag so gestalten, aber ich versuche, es so oft wie möglich. Wenn meine Batterien leer sind – vor allem nach vielen sozialen Terminen – gibt es für mich nichts Wohltuenderes, als allein in meinem Atelier zu sein, ein gutes Hörbuch zu hören und mit meinen Händen etwas zum Leben zu erwecken. Das ist für mich wie Aufladen von innen heraus.