Parnass Melanie Ender Künstlerin Portrait
Foto © Heidi Pein, Nicolas Lackner

Studio Visit: Melanie Ender

Zeit, Aufmerksamkeit und Staunen – all das braucht die Kunst, um zu entstehen, wie Melanie Ender beim Atelierbesuch ausführt. „Es geht darum präsent zu sein damit etwas entstehen kann“, erklärt die 1984 geborene Künstlerin. Aktuell sind ihre skulpturalen Kompositionen in der Neuen Galerie in Graz zu sehen.

 

PARNASS: Wir treffen uns in deinem Atelier im 3. Wiener Gemeindebezirk, hier vereinst du Werkstatt, Büro und einen kleinen Schauraum auf drei Ebenen – wie lange arbeitest du schon hier?

Nach mehreren Monaten in Rom und Turin bin ich nun seit Ende 2017 hier. Während der Zeit in Italien hatte ich keine Wohnung und kein Atelier in Wien und war gut und gerne völlig weg. Als ich wiederkam, hat sich der tolle Raum hier ergeben nun bin ich schon so lange hier, dass ich mich manchmal frage, ob ich nicht weiterziehen sollte. Das permanente nomadische Hin- und Herziehen ist mühsam, aber ich habe doch immer Sehnsucht danach woanders hinzugehen. Ein gut eingerichtetes Atelier ist fantastisch und doch hat es ein gewisses Gewicht, das einen vielleicht zurückhält.

 

Parnass Melanie Ender Künstlerin Portrait

Foto © Heidi Pein, kunstdokumentation.com

 

 

PARNASS: Hast du also ein wenig Angst vor falscher Bequemlichkeit?

Ja, irgendwie schon. Es ist merkwürdig, dass es manchmal so schwer scheint einen Ort, ein Nest, das man sich gemacht hat, wieder zu verlassen. Es scheint so kompliziert alles zurückzulassen oder einzupacken. Dabei gelingt es mir eigentlich überall auch aus dem Nichts heraus anzufangen zu arbeiten und meine Materialien zu finden.

 

PARNASS: Das Finden von Gegenständen, die du nach sorgfältiger Bearbeitung zum Material für neue Objekte machst, ist wesentlich für deine Praxis.

Es ist oft so, dass mir Material einfach begegnet.

 

Ich kaufe selten und auch ungerne neue Sachen.

 

Ich gehe auf Schrottplätze oder finde Dinge auf der Straße. Ich mag keine geschliffenen, polierten Dinge aus der Fabrik. Ich finde es viel spannender mit Material zu arbeiten, das schon eine Patina trägt, die ich erst waschen und anschleifen muss, um zu entdecken was sich darunter verbirgt. Es geht um ein Schauen und ein Hinhören, auf das, was die einzelnen Fragmente für ein Potenzial in sich tragen.

 

 

Parnass Melanie Ender Künstlerin Portrait

Foto © Heidi Pein, Nicolas Lackner

 

 

PARNASS: Du lebst dann erstmal eine Weile mit deinen Materialien zusammen und beobachtest was sich entwickelt?

Es ist oftmals ein langes Betrachten und ein hin und herschieben oder stellen im Atelier. Das Eingreifen passiert dann sehr bewusst, aber ich warte oft lange bis ich etwas in Form bringe. Ich bin ein Fan von Details, von kleinen Dingen, die man nicht so offensichtlich und nicht sofort sieht. Es geht darum präsent zu sein damit etwas entstehen kann.

Ich bin auch manchmal verwundert, wann und wie etwas entsteht. Es gibt Tage, an denen ich gar keine Lust habe, länger im Atelier zu bleiben, aber wenn ich mich zwinge, dann geschieht womöglich unerwartet einer jener essenziellen Momente, in denen ich beiläufig und intuitiv zwei Materialien oder Formfragmente zusammenführe und plötzlich löst sich die Suche auf, für einen Augenblick stimmt alles.

 

PARNASS: Du hast einmal davon gesprochen, dass die Kunst auch eine Art Energiepool ist.

Es sind diese Momente, in denen etwas für mich völlig Unerwartetes entsteht, die mir Energie geben, weil sie überraschend kommen und ich oftmals wirklich erstaunt darüber bin, dass die einzelnen Teile die ganze Zeit da sind, aber sich eine Zusammengehörigkeit nicht von vornherein so klar zeigt.

Diese Erfahrungen sind wahrscheinlich mit ein Grund, warum ich Kunst mache, diese Momente, die man nicht kontrollieren kann, die dadurch entstehen, dass man dranbleibt.

 

Es ist seit langem für mich klar, dass ich entschieden habe das Leben so zu verbringen – mit Kunst machen, dass ich stetig mit Materialien in Kontakt sein will.

 

Es ist fast wie eine Beziehung, die ich zu meinem Material entwickle.

 

Parnass Melanie Ender Künstlerin Portrait

Foto © Nicolas Lackner, kunstdokumentation.com

 

 


PARNASS: Diese besonderen Momente, erfährst du die ausschließlich in der Kunst?

Es gibt sie auch mit Menschen, in Begegnungen und in der Natur.

 

PARNASS: Zurück zu deiner Arbeitsweise. Erst wenn du dich mit den Fundstücken vertraut gemacht hast, beginnst du sie zu bearbeiten.  

Das eine ist die Annäherung und das nächste ist die Aneignung. Hier entsteht dann ein Transformationsprozess. Das passiert über die Bearbeitung – das Putzen, Abschleifen, Brünieren, Schneiden, Teilen – dass die Stücke zu meinem Material werden. Es sind diese Arbeitsschritte im Atelier die grundsätzlich immer zu tun sind, so wie eine Malerin zunächst eine Leinwand aufspannen muss. Dann lege ich die einzelnen, transformierten Teile auf und setze sie in Bezug zueinander. Irgendwann ergibt sich dann eine mögliche Komposition und Zusammengehörigkeit.

 

PARNASS: Und wie finden deine Versatzstücke zu einem Objekt zusammen?

Die Art wie das Material gesetzt wird, in welchem Rhythmus oder welche Bewegung eine Linie haben soll, das hat viel mit Gestik zu tun. Ich zeichne oft Formen oder eine Abfolge an Bewegungen in die Luft, um zu spüren, ob eine Form stimmt.  Um es auch körperlich nachzuempfinden und zu überprüfen.

 

 

Parnass Melanie Ender Künstlerin Portrait

Foto © Heidi Pein, Nicolas Lackner

 

 

PARNASS: Wichtig für deinen Arbeitsprozess sind auch Texte.

Das Schreiben ist immer wieder sehr wichtig für mich. Im Moment schreibe ich viele Träume auf – das ist ein fantastischer Pool an kreativen Absurditäten. Der Prozess ist aber ähnlich meiner skulpturalen Arbeit.

Aus abstrakten und ephemeren Fragmenten, die einem im Traum begegnen, kristallisiert sich im genauen Beschreiben und Betrachten Essenzielles heraus.

 

Du musst dich dafür auf Details konzentrieren, die vielleicht nicht von vornherein wesentlich erscheinen.

 

Es braucht viel Konzentration, das Beschreiben dieser ephemeren Zustände und Formen.  Wahrscheinlich geht es um einen Zustand der Aufmerksamkeit, der im Atelier ein ähnlicher ist.

 

PARNASS: Was bedeutet nachhaltig #jungbleiben für dich?

Im Besten Fall wird das Werk einer Künstlerin über die Jahre und mit dem Alter immer voller und tiefer.

 

AKTUELLE AUSSTELLUNG

Melanie Ender: mittig unter oben links
www.melanieender.com

bis 27. Februar 2022

Neue Galerie Graz
Joanneumsviertel
8010 Graz

Weitere Studio Visits featured by Kunstmagazin PARNASS gibt es hier.

Autorin:
Paula Watzl

Fotocredits: v.l.n.r. + v.o.n.u.:
1,4,9: © kunstdokumentation.com
2,3,5,11: © Heidi Pein
6,7,8,10: © Nicolas Lackner

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