Parnass, Valentin Elias Renner
Fotos © Valentin Elias Renner

Studio Visit: Valentin Elias Renner

Mit Faden und Nägeln die Welt entdecken – Valentin Renner hebt in seiner Wahlheimat Hamburg String Art auf ein neues Level. Von der ersten Weltkarte in Ulm bis zu internationalen Ausstellungen in New York, Madrid und Kopenhagen: Ein Gespräch über Entdeckergeist, Materialexperimente und den Mut zur Verwirklichung.

String Art kennt man oft nur als dekorative Technik. Du erhebst sie zur „Fine Art. Wie bist du zu ihr gekommen?
Als Kind wollte ich Entdecker werden – mit einem Segelschiff um die Welt reisen, unbekannte Inseln betreten, neue Tier- und Pflanzenarten entdecken. Doch als mein Vater mir Google Earth zeigte, wurde mir bewusst, dass die Welt bereits weitgehend kartiert ist. Mein Traum vom Entdecken veränderte sich, doch die Sehnsucht nach Reisen blieb.

2017/18 führte sie mich auf die Gili-Inseln in Indonesien. In einem Hostel entdeckte ich eine Weltkarte, auf der Gäste ihr Heimatland markierten und mit Fäden verbanden. Neben meiner Leidenschaft fürs Reisen liebe ich Statistiken, Datenanalyse und Kartografie. Inspiriert von dieser Karte wollte ich meine eigene Version erschaffen – eine Weltkarte aus Holz, auf der ich mit Nägeln und Fäden meine besuchten Orte markiere. So entdeckte ich die Technik der String Art für mich.

 

Parnass, Valentin Elias Renner

Fotos © Valentin Elias Renner

 

Also war String Art für dich anfangs auch ein rein dekoratives Mittel?
Ja, zunächst schon. Doch von Anfang an war ich stolz auf die Technik und wollte sie direkt zeigen. Ich blieb dran und hatte 2022 meine erste Ausstellung hier in Hamburg – damals noch als Teil eines großen Kunstkollektivs im Yoko Club.
Angefangen hatte alles aber viel kleiner – in meinem Studentenzimmer. Dort habe ich meine ersten Werke geschaffen und irgendwann auf Social Media geteilt. Das war ein entscheidender Schritt, denn plötzlich begannen Leute, meine Arbeiten zu kaufen. 

Später in meinem ersten Studio habe ich mir dann autodidaktisch alles beigebracht: Ich habe verschiedene Materialien studiert – wie sie sich verhalten, welche Garne strapazierfähig sind, welche schneller ausfransen, welche Nägel sich am besten eignen. So habe ich meine Technik immer weiterentwickelt.

Hat deine Faszination für Kunst erst mit der Reise nach Indonesien begonnen, oder gab es schon vorher ein Interesse, etwa an der Malerei?
Die Verbindung zur Kunst begleitet mich schon mein ganzes Leben. Meine Oma war Künstlerin, und mit ihr habe ich früh angefangen zu malen. Allerdings fiel es mir schwer, Gesichter und Nasen realistisch darzustellen – stattdessen zog es mich schon immer zur Abstraktion und zu einfachen, klaren Linien. Schon als Kind habe ich riesige Karten gezeichnet.

Früher wolltest du die Welt entdecken, und heute erschaffst du mit deinen Werken eigene Topografien.
Genau, ich möchte topografische Werke schaffen. In einer Welt, in der es gefühlt kaum noch unentdeckte Orte gibt, gibt mir die Kunst die Möglichkeit, meine eigenen Welten zu erschaffen – Landschaften, die zuerst ich entdecke und später auch andere. So kann ich meiner Faszination für Kartografie und Abstraktion folgen und gleichzeitig neue Perspektiven eröffnen.

 

Parnass, Valentin Elias Renner

Fotos © Valentin Elias Renner

 

Du bist von Ulm nach Hamburg gezogen: Vom ländlichen Raum in das urbane Stadtleben. Hatte dieser Schritt Auswirkungen auf deine Kunst?
Definitiv. Meine allererste Weltkarte habe ich noch in Ulm erstellt. Dann hatte ich einen Zwischenstopp in Erfurt, wo ich mein erstes Porträt, Der Alchemist, gemacht habe.

Nach Hamburg bin ich ursprünglich gar nicht wegen der Kunst gezogen. Es fühlte sich einfach nach dem richtigen Schritt an. Rückblickend hat mich die Stadt künstlerisch stark geprägt. Die urbane Umgebung bringt eine ganz andere Dynamik mit sich – die Kunstszene ist größer, das Milieu anspruchsvoller, und die Hemmschwelle, sich dort zu behaupten, ist deutlich höher als in Ulm oder Erfurt. Das hat mich gefordert und gleichzeitig wachsen lassen.

In deinen älteren Werken finden sich viele botanische und florale Elemente. Das scheint wie eine Erinnerung an deinen Heimatort.
Ich glaube, das Florale hat sich ganz von selbst entwickelt. Ich arbeite viel mit Fraktalen – also Strukturen, die sich in der Natur überall wiederfinden. Diese Idee wollte ich auch in meine Werke einbinden. Meine Arbeitsweise folgt einer bestimmten Abfolge, aber das Organische ist dabei immer intuitiv entstanden. Ich habe mich treiben lassen und die Veränderungen im Prozess angenommen.

Deine Arbeit mit Nagel und Faden erfordert viel Präzision – wie viel Planung steckt dahinter?
Mittlerweile arbeite ich in Serien. Doch besonders bei meinen floralen Werken gehe ich kaum konzeptionell vor. Es gibt zwar eine grobe Vorstellung von Größe, Farbe und Motiv, aber das Endergebnis ist nirgendwo skizziert. Es fühlt sich an wie ein direkter Datentransfer von meiner Fantasie in die sichtbare Form.
Früher, als ich Gesichter gemacht habe, habe ich jedes Detail exakt ausgemessen.

Bei meinen neueren Werken hingegen ist der Prozess fast mathematisch. Ich berechne die Flächen genau, damit alles am Ende aufgeht. Dadurch verschiebt sich ein Teil des kreativen Prozesses.

Gab es Werke, bei denen du gemerkt hast, dass dein Konzept nicht funktioniert, sodass du alles geändert oder sogar abgebrochen hast?
Abgebrochen habe ich noch nie. Ich glaube daran, dass man immer zwei Werke von einem wirklich guten entfernt ist. Es gibt aber durchaus Arbeiten, mit denen ich nie ganz zufrieden war. Manchmal schaue ich sie mir nach einem Jahr wieder an und entscheide, das gesamte Garn auszutauschen oder andere Elemente zu verändern.

Ein Beispiel dafür ist mein Werk Ventale Striatu (Der lange Weg), das mich über zwei Jahre begleitet hat. 2023 habe ich es erstmals in Düsseldorf ausgestellt. Doch ich war nie wirklich zufrieden und habe es immer wieder verändert: neuer Faden, anderer Rahmen, der Hintergrund wurde neu gesprayt.

Im Oktober 2024 habe ich das Werk schließlich live bei einem Event fertiggestellt – und seit Februar 2025 hat es bei einem meiner Sammler sein endgültiges Zuhause gefunden. 

Das Material des Fadens verändert also auch die Wirkung eines Werkes. Das klassische Garn funktioniert nicht immer.

Ich wüsste gar nicht, was das klassische Garn ist, da ich wirklich mit unterschiedlichsten Materialien arbeite. Mein Garn muss vor allem langlebig sein und darf nicht ausleiern. Daher arbeite ich oft mit einer Baumwoll-Polymischung, die nicht ausfranst und weniger staubanfällig ist. Der hohe Plastikanteil passt in meinem Fall gut.
Hin und wieder arbeite ich aber auch mit dünnem Garn, Drähten, Ketten und metallischen Fäden, je nachdem, was für das jeweilige Werk am besten passt.

Parnass, Valentin Elias Renner

Fotos © Valentin Elias Renner

 

Du gibst auch Workshops, vor allem für Kinder, und nimmst deine Follower:innen auf Social Media mit in den Entstehungsprozess deiner Werke. Warum ist dir die Vermittlung so wichtig?
Ich arbeite einfach gerne mit Menschen zusammen, und ich habe das Gefühl, dass es eine unserer Aufgaben im Leben ist, Wissen weiterzugeben. Seit Kunst zu meinem Beruf geworden ist, habe ich einen etwas anderen Blick auf die Workshops bekommen. Anfangs hatte ich Angst den DIY-Charakter meiner Werke zu befeuern. Mittlerweile habe ich gemerkt, dass es der String Art aber gut tut, wenn mehr Menschen sich damit beschäftigen und den Aufwand und die Faszination dahinter verstehen.

Was Social Media angeht, habe ich das Ganze ganz organisch begonnen. Ich wollte einfach zeigen, wie ich arbeite, und es hat Leute interessiert. Für mich war es anfangs auch schön, die Reise zu dokumentieren. 

Was sind deine Projekte und Ziele für die Zukunft?
2025 ist wirklich vollgepackt mit Zielen, und einige habe ich bereits erreicht. Ein großes Ziel war es, international auszustellen, und jetzt bin ich stolz darauf, in Madrid und Kopenhagen durch Galerien vertreten zu sein. Außerdem habe ich ein Event in Athen geplant und werde im September für drei Monate nach New York gehen.

Was bedeutet #jungbleiben für dich?
Jungbleiben bedeutet für mich vor allem, offen zu bleiben. Je älter man wird, desto weniger ist man oft bereit, Neues zuzulassen. Der Entdeckerdrang und die Wissbegierde nehmen oft ab, und ich hoffe, dass ich mir diese Eigenschaften bewahren kann. Es geht darum, flexibel im Geist zu bleiben und sich auch zu trauen, unbekannte Wege zu gehen.
Ich möchte mir das Kindsein bewahren, ohne dabei naiv zu werden.

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