Popchop Tobias Beck
Fotos © Lucas Huemer

POPCHOP: Vom Dorfkind zum Botschafter deutscher Esskultur

Text: Lucas Huemer

Tobi Beck wuchs in einer kleinen Gemeinde in Mannheim auf, am Rande des Dreiländerecks zwischen Hessen, Baden-Württemberg und der Pfalz. Die Umgebung – auf der Straße spielende Kinder, niemand schloss die Haustür ab, jeder kannte jeden – und das spürbare Miteinander in der Dorfgemeinschaft prägten ihn nachhaltig. Bereits im Kindergarten zeigte sich seine frühe Leidenschaft fürs Essen:

„Ich habe damals immer Freunde gefragt, was es bei ihnen zu Hause zu essen gibt“, erinnert sich Tobi Beck.

Diese Neugier führte dazu, dass er nach der Schule oft auswärts aß und so mit einer Vielfalt an Geschmäckern aufwuchs.

Während seiner Schulzeit – vor allem am Gymnasium – entdeckte er seine Leidenschaft fürs Kochen. Obwohl er International Management studierte, hatten das Kochen und Essen für ihn stets einen hohen Stellenwert. In geselligen Runden kreierte er bereits damals Gerichte wie eine improvisierte „Maultaschenpfanne“ und entwickelte so ein Gespür für das Zusammenspiel von Zutaten und Aromen. Seine Familie spielte dabei eine zentrale Rolle: Während seine Mutter gerne mit kreativen, wenn auch ungewöhnlichen Rezepten experimentierte, lehrte ihn seine Großmutter den Wert traditioneller und bodenständiger Küche.

Popchop Tobias Beck

Fotos © Lucas Huemer

 

Nach dem Abitur zog es Tobi Beck ins Ausland – Work & Travel in Australien, wo er seine kulinarischen Fähigkeiten weiter vertiefte. Parallel dazu packte ihn das Kochfieber immer mehr, und so versuchte er 2016 sein Glück bei der TV-Show „Küchenschlacht“. 

Es gelang ihm, bis ins Finale vorzustoßen – das er auch gewann. Später wurde er zur „Champions of Champions“-Reihe der Show eingeladen, die er allerdings nicht für sich entscheiden konnte.

Diese Erfahrungen gaben ihm Einblicke in verschiedene Facetten der Gastronomie – von der kreativen Zubereitung kleiner Gerichte bis hin zu komplexen Menüs.

Nach seinem Studium und den gesammelten Erfahrungen kehrte Tobi Beck nach Deutschland zurück. Ihm war klar: Um wirklich durchzustarten, brauchte es eine fundierte Ausbildung. Er landete im renommierten Fischers Fritz bei Christian Lohse – doch der Funke wollte nicht so recht überspringen. Der Drang, sich weiterzuentwickeln, blieb jedoch: Es folgte ein Auslandsaufenthalt in Kopenhagen im legendären Noma, dann Lehrjahre im Berliner Ernst und später eine prägende Zeit in Argentinien, wo er bei Francis Mallmann die Kunst des Kochens über Feuer und Holz erlernte.

All diese Stationen erweiterten seinen Horizont – und bestärkten ihn in dem Wunsch, die Grenzen konventioneller Gastronomie zu überschreiten.

Mit der Rückkehr nach Berlin begann ein neues Kapitel. Die Herausforderungen der Corona-Pandemie führten ihn zur regionalen Küche als neue Inspirationsquelle. Gemeinsam mit Paul Gerber und engagierten Partnern gründete er ein innovatives Projekt mit dem Motto „Dinner an besonderen Orten“. So entstand Ember – ein Konzept für gesellige Sharing-Menüs, die über offenem Feuer zubereitet werden. 

Einige Jahre später wurde Ember mit einer traumhaften Rooftop-Location im Herzen Berlins sesshaft. Heute ist es fester Bestandteil der Berliner Gastroszene, geleitet von Jessica Hauff (Restaurantleitung) und Adam Quan (Küchenchef).

Authentizität der deutschen Küche – und ihre Wiederentdeckung

Unverhofft kommt oft. Ein entscheidender Moment kam, als Tobi Beck nach dem Tod seiner Großeltern alte Fotos und Erinnerungen an vergangene Caterings entdeckte. Diese Bilder öffneten ihm die Augen: Es ging nicht um die idyllische Nonna, die das Ragù umrührt – sondern um den authentischen, manchmal auch rauen Charakter deutschen Essens.

Eine Solo-Reise durch Norddeutschland – von Rostock über das Ammerland bis nach Ostfriesland – ließ ihn die Vielfalt und Besonderheit regionaler Gastronomie erkennen. Für ihn war klar: Er möchte einen deutschen Laden eröffnen und über wahre Esskultur sprechen.

Er erinnert sich, wie er als Kind mit Bockwurst von der Aral-Tankstelle und Grillhähnchen vom Aldi-Parkplatz aufwuchs. Diese alltäglichen, echten Erfahrungen prägen bis heute seinen Blick auf deutsches Essen. Sein Ruf als Botschafter für „ehrliche“ deutsche Küche verbreitete sich bald auch im internationalen Freundeskreis. In seiner Freizeit begann er, klassische deutsche Lokale zu besuchen und dazu Kurzgeschichten zu schreiben.

Warum hat deutsches Essen so einen schlechten Ruf?

Im Gespräch kritisiert Tobi Beck den weitverbreiteten Vorwurf, deutsches Essen sei „nicht gut“. Seiner Meinung nach liegt das an einer kulturellen Haltung: In Deutschland zählen Besitz – etwa ein Reihenhaus oder ein teures Auto – oft mehr als die Qualität der Küche.

Historische und wirtschaftliche Entwicklungen, etwa die Nachkriegszeit, Massenproduktion von Fleisch oder die Tiefkühlkost-Welle, haben dem Ansehen deutscher Küche langfristig geschadet. Dabei wird häufig übersehen, dass hinter vielen traditionellen Gerichten viel Herzblut und handwerkliches Können steckt.

Kulinarische Klassiker und persönliche Favoriten

Tobi Beck spricht auch über seine Lieblingsgerichte: Hochzeitsnudeln mit Schinken – ein Kindheitsgericht aus Mannheim –, doppelt gebackene Dampfnudeln mit Vanillesoße oder traditionelle Kochkäse-Schnitzel. Für ihn sind das mehr als Rezepte. Sie sind Identität.

Dabei geht es ihm nicht um ausgefallene Neuinterpretationen, sondern um ehrliche, solide Gerichte, wie sie in deutschen Familien seit Generationen gekocht werden.

Vollgepackt mit Emotionen und Tatendrang klopfte plötzlich das Clärchens an – ein historisches Gebäude aus dem Jahr 1913 mit einem der letzten erhaltenen Ballsäle in Berlin-Mitte. Tobi Beck erzählt, wie sich dort die Möglichkeit bot, seine kulinarische Vision umzusetzen.

Gemeinsam mit einem jungen, dynamischen Team und erfahrenen Investoren setzt er dort auf regionale Bioprodukte, um jeden Abend rund 300 Gäste mit moderner deutscher Küche zu begeistern.

Für ihn steht fest: Gutes Essen darf sich nicht hinter Trends verstecken, sondern muss als kulturelles Erlebnis sichtbar und spürbar sein.

Popchop Tobias Beck

Fotos © Lucas Huemer

 

„Gut Geist“ – Manifestation einer Idee

Eines Tages erhielt Tobi Beck eine E-Mail von Ben Mervis, einem alten Weggefährten aus Noma. Als Tobi ihm seine Kurzgeschichten über klassische deutsche Orte zeigte, entstand eine Idee: Gemeinsam mit dem Team des Fare Magazine wollten sie ein physisches Medium schaffen – ein Magazin, Kochbuch oder Coffee Table Book. Tobi, selbst leidenschaftlicher Sammler alter Kochbücher, war begeistert.

So wurde Gut Geist geboren.

Bereits die erste Ausgabe trägt seine Handschrift. Für die zweite Ausgabe soll das Projekt internationaler werden: Neben seinen eigenen Beiträgen sollen auch andere Stimmen – Autorinnen, Fotografinnen und Marken – Raum bekommen. Moderne Elemente und traditionelle Inhalte sollen sich verbinden: Die Skyline von New York ist ebenso denkbar wie der Imbiss in Wuppertal.

Mit diesem Projekt möchte Tobi nicht nur seine Geschichte erzählen, sondern einen Raum schaffen, in dem die Vielfalt deutscher Esskultur im internationalen Kontext erlebbar wird.

Popchop Tobias Beck

Fotos © Lucas Huemer

 

Nachhaltigkeit – aber bitte bodenständig

Tobi spricht sich dafür aus, dass Gastronomie in Deutschland wieder zugänglicher werden muss:

„Ich glaube, wir erleben einen Trend hin zur Einfachheit – und das ist gut. Die Leute wollen wissen, was sie essen. Und sie sollen es sich leisten können.“

Er betont: Wirtschaftlicher Erfolg und Fairness sind kein Widerspruch. „Die Produkte werden teurer, Löhne steigen – zum Glück! Aber du musst Preise anbieten, bei denen die Leute nicht rückwärts aus dem Laden kippen.“

In seinem Restaurant verfolgt er genau diesen Ansatz: Statt teurer Filets gibt es auch Hackfleischgerichte wie Königsberger Klopse oder Leberknödel in Brühe.

„Wir kochen ehrlich, aber clever. Wir können nicht nur für Gourmets kochen – wir brauchen die Mitte. Und das macht mir richtig Spaß.“

Auch sein Ego stellt er zurück: „Wenn jemand einen Ziegenkäsesalat will – dann machen wir eben den besten, den wir können. Ohne Attitüde.“

Der Blick über den Tellerrand

Tobi kritisiert, dass viele Köche in Deutschland immer wieder dasselbe kochen und wenig offen für neue Einflüsse sind:

„Du musst den Kopf aufmachen, andere Kulturen reinlassen, reisen, schauen, was es da draußen gibt – und dann verstehen, was du eigentlich zu Hause hast.“

Für ihn kein Widerspruch, sondern Bereicherung:

„Ich könnte mich natürlich in Niban Dashi einarbeiten – aber was sich echt anfühlt, sind grüne Soße, Rührei mit frischen Eiern vom Bauernhof oder ein richtig guter Leberknödel.“

Er lacht: „Ganz ehrlich – bei uns zu Hause gab’s keine Salatwraps, sondern Kartoffelpuffer oder Kassler. Warum sollte man sich dafür verbiegen?“

 

Popchop Tobias Beck

Fotos © Lucas Huemer

 

Und wohin geht die Reise? Was kommt als nächstes?

„Gute Frage“, sagt er mit einem Lächeln. „Aber im Kern habe ich mir auf die Fahnen geschrieben, über deutsche Esskultur zu sprechen – ganzheitlich.“

Es geht ihm nicht nur um Food-Fotografie oder hübsche Restaurants, sondern um gesellschaftliche Zusammenhänge: Landgasthäuser, die sterben, weil junge Leute wegziehen. Unterirdisches Schul- oder Krankenhausessen. All das gehört zur Realität in Deutschland.

 

Autor und Fotos by Lucas Huemer

 

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